Schwarzenburg – weltweit!
1939-1998 strahlt der Kurzwellensender Schwarzenburg in der Schweiz produzierte Radioprogramme in alle Welt aus. Die Sendungen gelten den Auslandschweizer:innen in Übersee und sollen zudem «die Geltung der Schweiz im Ausland fördern.» Durch den Äther fliessen volkstümliche Schwyzerörgeli-Musik und wichtiger: der Versuch einer möglichst objektive Berichterstattung zum Weltgeschehen. In einer Art Mikrogeschichte lassen sich die grossen Umbrüche des 20. Jahrhunderts anekdotisch an der ehemaligen Sendeanlage erzählen. Seit 1999 nutzt das Museum für Kommunikation den Gebäudekomplex als zentrales Depot für Museumsobjekte.
In den frühen 1930er Jahren entwickelt sich Radio zu einem populären Medium. Die über die Landessender auf Mittelwelle ausgestrahlten Programme haben aber nur eine Reichweite von einigen hundert Kilometern. Auslandschweizer:innen in Übersee können keine Radiosendungen aus der Schweiz empfangen. Ab 1935 werden daher regelmässig Spezialsendungen über Kurzwelle via den Völkerbund-Sender in Prangins ausgestrahlt. Senderichtung ist anfänglich Nord- und Südamerika, ab 1938 auch Afrika, Asien und Australien. Sich an den europäischen Nachbarn orientierend, wird in der Schweiz ein eigener Kurzwellensender angestrebt. In der Botschaft des Bundesrates vom 28. März 1938 wird der Bau eines Kurzwellensenders in Schwarzenburg beschlossen: «Diese Bestrebungen sind ausnahmslos vom Wunsche beseelt, den Kontakt mit der fernen Heimat so weit wie möglich aufrechtzuerhalten, um auf diese Weise an den geistigen, kulturellen und politischen Geschehnissen des Landes teilnehmen zu können.» Ein weiteres Motiv ist ebenfalls der Botschaft zu entnehmen: Verkehrsförderung – heute bekannt unter dem Stichwort Tourismus. «Die Station soll im Frühjahr 1939 fertiggestellt sein, damit auch gleichzeitig mit der Werbung für die Landesausstellung in Zürich begonnen werden kann.»
WIE SCHWARZENBURG ZUM WELTORT WIRD
Die Namensgebung des Senders wird ausführlich diskutiert. Die Gemeinde Wahlern, auf dessen Boden die Sendeanlage steht, schlägt 1938 «Schweizerischer Kurzwellensender Schwarzenburg» vor. Hermann Loder, Mitglied der Generaldirektion des Schweizer Rundspruchs und vorher für den Aufbau des Telefonrundspruchs verantwortlich, rät von diesem Namen ab. Er empfiehlt «Schweizerlandsender» oder «HELVETIA-Sender». Mahnend gibt er zu bedenken, dass man in England den Landessender «Beromünster» oft für einen deutschen Sender halte. Schlussendlich setzt sich der Vorschlag der Gemeinde Wahlern durch und auf den Skalen der Kurzwellenradios findet sich fortan das Wort «Schwarzenburg» oder abgekürzt «Schwarzenbg», teilweise auch einfach das deutlich kürzere Wort «Schweiz». Die Melodie des Erkennungssignets / Pausenzeichens wird ebenfalls mit Engagement diskutiert. Zur Auswahl stehen etwa «O mein Heimatland», das Beresinalied, der Schweizerpsalm oder «Es lebt in jeder Schweizer Brust». Ausgewählt wird schliesslich das 1823 komponierte «Lueget, vo Bärgen u Tal», eine Art «Heimwehlied» aus der Deutschschweiz. Die Komposition stammt von Josef Anton Henne (Text) und Ferdinand Fürchtegott Huber (Melodie). Beide unterrichten in den 1820er Jahren an der Armenschule in Hofwil bei Münchenbuchsee. In diesem Internat wurde schulischer Unterricht und handwerkliche Arbeit verbunden und Henne dichtete die Zeilen als tröstendes Abendlied für seine Schüler. Es entbehrt nicht einer leisen Ironie, dass die Melodie des Pausenzeichens ursprünglich für Arme, Mittellose und Entrechtete geschrieben wurden. Für viele Auslandschweizer:innen war Armut ein zentrales Motiv für die Auswanderung. Rückblickend lässt sich zusammenfassen, dass Name und Signet des Kurzwellensenders deutschschweizerisch geprägt sind und somit die föderale und mehrsprachige Schweiz nur sehr bedingt repräsentieren.
Die ersten Takte des Liedes «Luaget, vo Bärgen u Tal» dienen als Pausenzeichen des Kurzwellensenders Schwarzenburg. Museum für Kommunikation, ADOK_0070
Doch warum steht der Kurzwellensender in Schwarzenburg? Die PTT evaluiert den Standort zusammen mit dem Militärdepartement. Alois Muri von der PTT rapportiert dem SRG-Zentralvorstand am 11. Februar 1937: «Der Bau des Kurzwellensenders ist eine beschlossene Sache, doch muss der Standort in eine abgelegenere Zone verlegt werden. Es wird ein Standort gesucht zwischen Horgen und Châtel-St.-Denis.» Als der Ständerat am 26. April 1938 den Kurzwellensender diskutiert, präzisiert der Bündner Albert Lardelli die Standortwahl: «Nicht zuletzt waren dafür auch militärische Gesichtspunkte wegleitend. Weg von den Zentren ins innere Land, an einen Ort, wo der Sender auch in kritischen Zeiten noch verwendet werden kann.» Wie die Tageszeitung der Bund 1938 berichtet, dürfte auch die Nähe zur Bundesstadt Bern für Schwarzenburg gesprochen haben. Daneben hat die den Bau ausführende PTT auch noch Ansprüche technischer Natur. Ein ebenes Terrain mit einem hohen Grundwasserspiegel dient einer guten Abstrahlung der Antennenanlage. Der Horizont darf den Antennen-Abstrahlwinkel von 10° durch keine Anhöhen brechen und das umgebende Kulturland darf nicht überbaut oder mit vielen Bäumen bepflanzt sein.
FEHLTSTART UND ANGESPANNTE LAGE
Noch im Jahr 1937 wird die Ebene zwischen Elisried und Mamishaus als Standort für den künftigen Kurzwellensender bestimmt. Am 6. Mai 1939 strahlt der Kurzwellensender die erste Sendung aus. Die Eröffnungsrede zur Landesausstellung wird via Kurzwelle übertragen. Doch die Freude ist von kurzer Dauer: Am 6. Juli 1939 bricht ein Brand aus und zerstört die Sendeanlage komplett. Die Brandursache kann nie abschliessend geklärt werden. Die PTT geht von einem technischen Grund in Zusammenhang mit den Hochfrequenzanlagen aus und hält einen Sabotageakt für unwahrscheinlich. Zwischenzeitlich kommt nun wieder die Sendeanlage in Prangins zum Einsatz. Im Mai 1940 nimmt der neu aufgebaute Kurzwellensender Schwarzenburg wieder den Betrieb auf.
Die Wiederaufnahme des Sendebetriebs fällt in eine sehr angespannte Zeit. Im Juni 1940 unterzeichnet Frankreich den Waffenstillstand von Compiègne. Die Schweiz ist nun von den faschistischen Mächten umzingelt. Dass Kriegsgefahr droht, zeigt sich unmittelbar in Schwarzenburg. Der Kurzwellensender und seine Antennenanlage erhalten einen Tarnanstrich, es werden Arbeiten für die Verdunkelung an die Hand genommen und die gesamte Anlage wird militärisch bewacht. Dass der Kurzwellensender eine kritische Infrastruktur erster Güte darstellt, veranschaulichen gleich mehrere Beispiele.
- In Schwarzenburg werden nicht nur Radiosendungen ausgestrahlt. Hier findet sich auch eine Sendestation für die Telefonie via Kurzwelle. Empfangsstation ist Châtonnaye im Kanton Freiburg – vermittelt und koordiniert werden die Anrufe im Überseeamt in Bern. Telefonleitungen ins Ausland sind kriegsbedingt gekappt und die Radiotelefonie ist einer der wenigen offenen Kommunikationskanäle für den direkten Kontakt mit den Alliierten in den USA und Grossbritannien.
- Nach der Niederlage Frankreichs hält Bundesrat Marcel Pilet-Golaz eine Radioansprache, die auf die Bevölkerung rätselhaft und mutlos wirkt. Was meint Pilet-Golaz mit der «Anpassung an die neuen Verhältnisse»? In der Folge gründen mehrere Schweizer Offiziere einen Geheimbund, der als «Offiziersbund» oder «Offiziersverschwörung» in die Geschichte eingeht. Ziel ist es, mit der Armee weiterzukämpfen, falls Bundesrat und Armeeführung vor den Nazis kapitulieren. Wie Dokumente der Militärjustiz im Bundesarchiv zeigen, rekrutieren die Verschwörer diskret auch Paul Borsinger, den ersten Direktor des Kurzwellendienstes. Anderen Verantwortlichen bei der PTT und beim Rundspruch wird nicht vollständig vertraut. Es wird geplant, den Kommunikations-Hub Kurzwellensender Schwarzenburg beim allfälligen Putsch zu übernehmen. Als die Planungen im August 1940 auffliegen, kommen die Verschwörer mit einigen Tagen Arrest davon. Diverse Politiker und General Guisan stellen sich diskret hinter die Verschwörer. Letztere machen danach steile Karrieren in der Armee und in diplomatischen Diensten.
- Der im Juni 1943 erschossene Landesverräter Heinrich Reutlinger hat über einen Komplizen auch den Kurzwellensender Schwarzenburg auskundschaften lassen. Der Komplize besorgt Zeitschriftenartikel zum ersten Sender von 1939, die aber wegen dem Brand bereits veraltet sind. Den Verrat anderer militärischer Geheimnisse an Nazideutschland gewichtet die vereinigte Bundesversammlung höher und lehnt eine Begnadigung ab. «Die Anwendung der vollen Strenge des Gesetzes war unerlässlich», so das amtliche Communiqué.
- Eine Backup-Anlage – auch Reduit-Sender genannt – für den Kurzwellensender Schwarzenburg kommt in einem mit Beton verstärktem Chalet auf dem Hirzenboden südlich von Bürglen unter. Neben der Ausstrahlung des Programms des Kurzwellendienstes, kann von dort aus auch via Kurzwellen telefoniert werden.
WELTPOLITIK, NEUTRALITÄT UND DRUCK AUS DEM AUSLAND
Am Beispiel des Kurzwellensender Schwarzenburg lassen sich die vielfältigen Aspekte der Schweizer Neutralität durchdeklinieren. Im 1985 publizierten Buch «50 Jahre Schweizer Radio International» blickt die SRG stolz zurück und schreibt «In den Jahren des Zweiten Weltkriegs wird der Kurzwellendienst dem Auslandschweizer sichere Informationsquelle und unzweifelhafter Neutralitätsbeweis. In dieser Rolle findet er weltweit auch ein zahlreiches nichtschweizerisches Publikum. Namen wie Jean-Rodolphe von Salis und René Payot werden zum Symbol für freiheitliche Informationspolitik unter schwierigsten Bedingungen.» Die Nachrichtensendung «Weltchronik» wurde via Landessender Beromünster und über Kurzwelle ausgestrahlt – von Salis selber nannte sie einmal eine «Partisanentätigkeit in den Ätherwellen». Dass dieses Pathos und der Kampf gegen Propaganda und Fakenews ihre Berechtigung hat, zeigt ein Leserbrief anlässlich des Todes des Chronisten in der NZZ:
Weniger heroisch ist die Einstellung der vom Kurzwellensender Schwarzenburg ausgestrahlten Wettervorhersagen im September 1942. Bereits zuvor wurden aus Neutralitätsgründen und auf deutschen Druck hin die Landessender in der Nacht abgestellt und die Schweiz verdunkelt. Ersteres sollte alliierten Bombern die Peilung und Orientierung erschweren, zweiteres das Fliegen auf Sicht beeinträchtigen. Insbesondere die Verdunkelung erhöhte für die Bevölkerung die Gefahr einer irrtümlichen Bombardierung deutlich. Doch zurück zum Wetter: Der deutsche Gesandte Otto Carl Köcher drang in Bundesbern mit der Argumentation durch, dass die Wetternachrichten mit der Neutralität nicht zu vereinbaren seien. Grund: die Alliierten nutzen das vermeldete Schweizer Wetter für Ihre Planungen betreffend Bombardierungen in Süddeutschland. Ein Telegramm von Ernst von Weizsäcker im Auswärtigen Amt in Berlin definiert das Auftreten Köchers in der Schweiz: «zu Ihrer persönlichen Unterrichtung füge ich noch hinzu, dass wir unbedingt entschlossen sind, die Einstellung der fraglichen Schwarzenburger Wettervorhersagen durchzusetzen und, falls die freundschaftliche Demarche ergebnislos verlaufen sollte, eine entsprechend deutlichere Sprache führen werden.»
Nach dem Krieg nutzt zeitweise das Internationale Rote Kreuz IKRK den Sender in Schwarzenburg. Über Kurzwelle werden Listen von Kriegsgefangenen und Kriegsheimkehrern verlesen. Angehörige erhalten so ein erstes Lebenszeichen ihrer Liebsten. 1954 erhält die SRG für dem Kurzwellendienst eine neue Konzession, die eine bereits bisher gepflegte Doppelaufgabe festschreibt: Eine Verbindung zwischen der Heimat und den Auslandschweizer:innen schaffen und «die Geltung der Schweiz im Ausland fördern.» Um diesen Aufgaben gerecht zu werden, wird der Kurzwellendienst innerhalb der SRG als eigenes Studio anerkannt und erhält eine eigene Programmkommission. In Bezug auf Schwarzenburg ist wichtig, dass hier die Sendungen ausgestrahlt werden. Produziert wird in den städtischen Radiostudios – teilweise werden Sendungen der Landessender übernommen.
Der Kurzwellensender Schwarzenburg bleibt also ein nüchterner Ort der Telekommunikationstechnik. Diese manifestiert sich mit einer auffallenden baulichen Ästhetik im Gelände. Der Alpenposten PTT-Reiseführer von 1948 schreibt beeindruckt: «Hier fesselt uns ein eigenartiger ‘Wald’, zum einen Teil mit Eichen bestanden, zum andern aus hohen Metallmasten bestehend…». Die ab 1948 erstellte Vorhang-Antennenanlage hat imposante Ausmasse. Der Hauptmast der Vorhangantenne ist 120 Meter hoch und hat drei Seitenarme, die bis zu 350 Meter lang sind.
KALTER KRIEG IM ÄTHER
Mit dem aufkommenden Kalten Krieg wird der Ausbau der schweizerischen Kurzwelleninfrastruktur forciert. Die Präsenz im Äther ist hart umkämpft und zwischen dem Westen und den Ostblock wird über Radiosender ein Propagandakrieg geführt. Es gilt nicht nur betreffend Panzer, Kampfjets und Atombomben aufzurüsten, sondern auch bei der Leistung der Sendeantennen und Störsender. Der Schweizer Kurzwellendienst bleibt dabei inhaltlich nüchtern und setzt die im Zweiten Weltkrieg praktizierte Informationspolitik fort. Die Nachrichten sind kurz, bündig und möglichst objektiv gehalten. Gesendet wird in den Landessprachen und in Englisch, Spanisch und Portugiesisch und ab 1963 auch in Arabisch. Obwohl der Neutralität verpflichtet, ist der Kurzwellendienst klar dem westlichen Block zuzuordnen. Die antikommunistische Einstellung wird subtil gepflegt. So werden beispielsweise Sendungen in Esperanto ausgestrahlt. In Osteuropa – wo die Plansprache populär ist – soll so eine treue Hörerschaft gewonnen werden. Auch der Takt der präzisen mechanischen Uhr und Werbung können als westlich-kapitalistische Symbole verstanden werden. Eine Art immaterielles Kulturerbe sind somit die Zeitansagen vor den Informationssendungen. Die zelebrierte Pünktlichkeit wird ab 1960 mit dem diskreten Werbehinweis auf Schweizer Chronometer ausgestrahlt. Als Gegenleistung unterstützt die Uhrenindustrie die Nachrichtensendungen auf Kurzwelle mit jährlich 100'000 Franken. Erstmals hält damit Werbung Einzug in der schweizerischen Radiopolitik.
Obwohl der Kurzwellensender Schwarzenburg auf den sowjetischen Generalstabskarten eingezeichnet ist, dürfte das ausgestrahlte Programm hinter dem Eisernen Vorhang kaum Geheimdienste oder kommunistische Funktionäre beunruhigt haben. Insbesondere die oft gesendete leichte Unterhaltungs- und Volksmusik hat vermutlich nicht das Zeug für eine Revolution. Da senden Kurzwellenstationen wie «Radio Free Europe RFE» inspirierendere Melodien – und sie sprechen die Jugend an: statt Schwyzerörgeli dringt Jazz, Pop- und Rockmusik über den eisernen Vorhang. Radio machen Dissident:innen aus dem Ostblock. Hinter den Kulissen führen die Geheimdienste beider Blöcke daher einen verbissenen Kleinkrieg gegeneinander. RFE untersteht einer Tarnorganisation und gehört eigentlich zum amerikanischen Auslandsgeheimdienst CIA. Die Geheimdienste des Ostblocks zeigen sich bei den Abwehrmassnahmen wenig zimperlich. Salzstreuer in der RFE-Mensa werden mit Gift gefüllt, ein bulgarischer Mitarbeiter wird durch eine vergiftete Regenschirmspitze umgebracht und 1980 detoniert im Radiogebäude in München eine Bombe. So viel Action ist in Bezug auf den Kurzwellendienst – der ab 1978 «Schweizer Radio international SRI» heisst – nicht dokumentiert. Wie ausgeprägt die Rezeption des Schweizer Senders in den nachrichtendienstlichen Milieus im Ostblock war, ist nicht ausgiebig untersucht und dürfte ein spannendes Forschungsdesiderat sein. Diesen Abschnitt abschliessend sei noch erwähnt, dass auch Ländler- und Hudigääggeler-Musik Drama haben. Neue Forschungen zeigen, dass viele «traditionelle» Stücke von der jenischen Musik mitgeprägt sind. Jenische traten oft als Wandermusiker:innen bei Tanzanlässen auf. Die «typische» Schweizer Musik auf Kurzwelle prägte also eine Volksgruppe mit, die von der offiziellen Schweiz unterdrückt, verfolgt, in Heime gesteckt, verdingt und umerzogen wurde.
TECHNIK, STROM UND TRANSNATIONALITÄT
Ab den späten 1950er Jahren verliert der Standort Schwarzenburg langsam sein Alleinstellungsmerkmal. Die schweizerische Kurzwellen-Infrastruktur wird dezentralisiert. Standorte wie Beromünster, Sottens, Sarnen oder Lenk übernehmen in Teilen die Ausstrahlung der Radioprogramme. 1992 beginnt die Übertragung des Programms via Satelliten. Zudem mindern das 1956 verlegte erste submarine Telefonkabel durch den Atlantik und weitere Tiefseekabelverbindungen schrittweise die Nachfrage nach Radiotelefonie-Angeboten. Dafür kommen aber auch neue Aufgaben hinzu: ab 1972 nimmt in Schwarzenburg eine Anlage für Flugfunk den Betrieb auf. Beeindruckend ist der Energiehunger des Kurzwellensenders. Pro Jahr werden ab den 1980er Jahren 10'000'000 Kilowattstunden verbraucht und die BKW stellt jeweils 800’000-1'000'000 Franken in Rechnung. Laut Daniel Weber, letzter Chef der Anlage, gehörte den Sender damit zu den besten Kunden des Stromkonzerns. Ab 1985 wird die Senderabwärme zum nahen Schulhaus «Tännlenen» überführt und dort zum nachhaltigen Heizen des Komplexes verwendet.
Die Anlage in Schwarzenburg wird laufend modernisiert. Zwei nicht mehr benötigte Sender von «Brown Boveri BBC» gehen 1993 nach Nordkorea. Das Projekt ist Teil der technischen Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz. Daniel Weber erinnert sich noch heute an die nordkoreanische Abbau-Crew und an deren Interesse an Rohstoffen. Die Nordkoreaner seien insbesondere auch an Kupferleitungen aller Art interessiert gewesen. Die Container mit den Sendern seien mit ausgemusterten Telefonschnüren und Tritel-Telefonapparaten vollgestopft worden.
Weitere ausgemusterte Sendetechnik wird an christliche Missionssender in Italien und Ecuador verkauft. Wie ein 2022 vom Museum für Kommunikation durchgeführtes Oral-History-Projekt in Schwarzenburg zeigt, wird die Sendeanlage teilweise als transnationaler Ort wahrgenommen. Anwohner:innen erinnern sich etwa an Radio-Delegationen aus dem globalen Süden, die zum Austausch und Weiterbildung im Sender weilten und in Schwarzenburg übernachteten. Eine Frau berichtet, wie sie um 1960 aus dem Internat in der Schweiz ihrem Vater, der als Geologe und Erdöl-Spezialist im Iran arbeitet, via Kurzwellendienst Grüsse ausrichten konnte. Von grenzübergreifenden Ambitionen berichtet auch eine grosse Werbetafel, die in der Sendehalle hängt. Dort steht zu lesen: «Schweiz weltweit – Kurzwellensender Schwarzenburg».
WIDERSTAND IM DORF
In der Umgebung des Kurzwellensenders Schwarzenburg erleben Anwohner:innen bisweilen Unheimliches: Aus der Waschmaschine und der Dachrinne erklingen Musik oder Sendungen in unverständlichen Sprachen, Steuerungen von Melkmaschinen machen sich selbständig und Neonröhren leuchten auch ohne Stromzufuhr. In solchen Fällen bekämpft die PTT Technik mit Technik und «entstört» die Gerätschaften durch Abschirmungsmassnahmen. Ab ca. 1980 wird in lokalen Zeitungen die Frage diskutiert, ob die vom Sender verursachten starken elektromagnetischen Felder gesundheitsschädlich seien. In der Tagespresse etabliert sich in den 1980er-Jahren der Begriff «Elektrosmog». In Schwarzenburg häufen sich Klagen über Kopfschmerzen, Schlafstörungen und das «Kribbeln ganzer Körperteile» (siehe auch Blog-Post «Im Strahlenmeer»). Die Bevölkerung ist in Bezug auf Umweltfragen sensibilisiert und teilweise misstrauisch gegenüber Behörden. Umweltkatastrophen wie Seveso, Tschernobyl und Schweizerhalle prägen den Zeitgeist. 1990 reichen 195 Bürger:innen der Gemeinde Wahlern beim Bund eine Petition ein. Sie fordert eine Untersuchung zu möglichen gesundheitlichen Gefahren der Sendeanlage. Was Kaiseraugst für die Antiatombewegung ist, dürfte der Kurzwellensender Schwarzenburg für den Widerstand gegen Sendeanlagen sein: der Ausgangspunkt für eine politische Bewegung. Die ab 1995 publizierten Resultate der geforderten Untersuchungen lassen die Möglichkeit zu, dass die Emissionen von Kurzwellensendern die Schlafqualität beeinträchtigen können. Eindeutig sind die Ergebnisse der Untersuchungen jedoch nicht.
1997 will die PTT die Antennenanlage des Kurzwellensenders durch moderne Drehstandantennen ersetzen. Nun gehen 400 Einsprachen ein und der Verein «Schwarzenburg ohne Kurzwellensender SchoK» organisiert Proteste vor Ort. Schliesslich verzichtet die PTT auf den Ausbau und noch 1998 wird der Kurzwellensender Schwarzenburg stillgelegt. Ausschlaggebend sind laut Bund und SRG in erster Linie wirtschaftliche Überlegungen. Kommt hinzu, dass gleichzeitig die PTT liberalisiert wird und die neue Besitzerin der Sendeanlage – die Swisscom – möglichst gewinnbringend zu handeln hat. Radioprogramme können nun auch via Satelliten und Sendeanlagen in Übersee ausgestrahlt werden. Die Protestbewegung vor Ort und zu befürchtende Klagen betreffend Gesundheitsschäden dürfte dem Bund den Entscheid zur Stilllegung leicht gemacht haben. Im Jahr 2000 geht www.swissinfo.ch online und ermöglicht weltweit den Zugang zu den SRG-Inhalten. Im Oktober 2004 werden die letzten SRI-Sendungen über Kurzwelle ausgestrahlt. Das Internet löst somit die analogen Kurzwellensignale aus der Schweiz definitiv ab.
AUS DEM SENDER WIRD EIN NACHHALTIGES MUSEUMSDEPOT
Nach dem Rückbau der Antennen- und Sendeanlagen übernimmt 1999 das Museum für Kommunikation den Gebäudekomplex. Im Rahmen einer Gesamtsanierung wird 2012–2016 die Lagerkapazität und -technik optimiert. Die Objekte lagern seither grösstenteils staub- und lichtgeschützt sowie unter möglichst optimalen Raumklimabedingungen in Rollregalanlagen. Die neu gestellte Fahrzeughalle des Architekten Patrick Thurston gewinnt 2015 den nationalen Prix Lignum in Gold (Preis für innovative Holzbauten). Der Bau beherbergt heute über 60 historische Fahrzeuge, darunter viele Kutschen und Postautos. Seit 2022 wird das ganze Depot komplett ohne fossile Brennstoffe klimatisiert. Ein Teil der Energie stammt von der hauseigenen Solaranlage auf dem Dach der Fahrzeughalle. Unter den vielen eingelagerten Objekten finden sich auch diverse Kurzwellen-Radioempfänger. Von Schwarzenburg um die Welt und wieder zurück nach Schwarzenburg – die Radios werden am Ursprungsort der Radiosignale für die Nachwelt aufbewahrt.
Autor
Dr. phil. Juri Jaquemet, Sammlungskurator für Informations- und Kommunikationstechnologie, Museum für Kommunikation, Bern
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Kommentare (2)
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Paul Gantneram 16.11.2023AntwortenAls Radiotechniker bedeutet der Artikel für mich einen hochinteressanten Einblick in einige mir neue und überraschende geschichtliche Aspekte des Kurzwellensenders Schwarzenburg. Danke für diesen guten und sehr lesenswerten Blog! Das „Tüpfchen auf’s i“ wäre noch: Keine Gender-Doppelpunkte und ein Nichterwähnen des umstrittenen H. U. Jakob. Natürlich bin ich mir aber bewusst, dass Historiker dem Zeitgeist verpflichtet sind und diesen ungefiltert abzubilden haben :-) .