Was kann das Museum? Teil 1/5 – Aufgaben
Die Aufgaben und Möglichkeiten von Museen wandeln und erweitern sich ständig. Was bedeutet es, wenn sich das Museum von einem kulturellen Ort zu einem sozialen Resonanzraum der gesellschaftlichen Auseinandersetzung und Meinungsbildung entwickelt? Im ersten Teil dieser Blogreihe frage ich mich, welche Rolle Partizipation und Teilhabe in der heutigen Museumsarbeit spielen und wie wir Museumsleute damit umgehen.
VON P UND E
Ich habe schon an einigen Tagungen und Workshops zum Thema Partizipation teilgenommen. Partizipation ist ein Evergreen, beschäftigt uns Museumsleute seit Jahren, in der Theorie und in der Praxis. Auch mich. Nach wie vor gibt es viele Debatten, wenn Partizipation auf der Traktandenliste steht. Nur schon die Frage, was Partizipation genau ist, sorgt für viel Gesprächsstoff. Und was ist gemeint mit Teilhabe? Mit Kollaboration? Mit Ko-Kreation? Was müssen wir beachten, damit ein partizipatives Format erfolgreich verläuft? Welche Voraussetzungen müssen wir schaffen? Welche Resultate können wir erwarten? Mit welchen Folgen und Auswirkungen müssen wir rechnen? Nach wie vor kämpfen die Verfechter:innen der Partizipation gegen Bedenken bei Kolleg:innen und Vorgesetzten. Angela Jannelli hat es 2022 an einem Workshop des Netztwerks P mit einem schönen Statement auf den Punkt gebracht: «Es muss was geschehen, aber es darf nichts passieren.» Dabei ist Partizipation doch eigentlich das Normalste auf der Welt. Sie gehört zum Leben, wir partizipieren ständig, ohne viel zu überlegen, Partizipation ist alltäglich. Warum bloss ist sie im Museum ein so grosses Thema, eine so grosse Herausforderung, mit so vielen Schwierigkeiten verbunden?
Na, ja, wir wissen es natürlich: Partizipation, wenn sie ernst gemeint ist, bedeutet unter anderem: Deutungsmacht abgeben. Ist ja eigentlich ein alter Hut und sollte uns Museumsleuten kein grosses Kopfzerbrechen mehr bereiten. In den letzten Jahren hat sich da auch einiges bewegt: Die Vorstellung, dass die Alltagserfahrungen der Museumsnutzenden ebenso wichtig sind wie die Expertisen von Fachleuten, ist vielerorts angekommen. Die Idee, dass das Museum eine Plattform für den Diskurs und den Austausch sein kann, wird auf verschiedenen Ebenen ausprobiert und gelebt. Die Forderung nach Inklusion und Zugänglichkeit ist anerkannt (wenn auch noch lange nicht umgesetzt). Selbst in der neuen Museumsdefinition der ICOM lassen sich Spurenelemente dieser Entwicklungen nachweisen. Und doch fällt es uns, sorry, fällt es mir immer noch und immer wieder schwer, die Kontrolle abzugeben. Denn obwohl ich die Deutungshoheit teilweise oder ganz abgebe, trage ich gleichzeitig die Verantwortung, für das, was bei einem partizipativen Prozess am Ende herauskommt. Klar, wenn wir von P sprechen, müssen wir auch über E sprechen – Ergebnisoffenheit. Auch das ist nichts Neues. Doch der Begriff hat es in sich. Ergebnisoffenheit muss man aushalten können. Als Verantwortlicher muss ich die Ergebnisoffenheit gegen aussen und gegen oben vertreten, und dazu könnte auch gehören, dass das Projekt oder Teile davon scheitern. Während des Apollo-13-Projekts wurde der Spruch «Failure is not an option» geprägt. Im Zusammenhang mit einer Mondlandemission finde ich ihn durchaus angebracht. Im Kontext mit Partizipation hingegen ist er fehl am Platz. Failure is always an option. Am Jahreskongress von Museen Schweiz 2022 wurde sogar vorgeschlagen, das Scheitern ruhig auch mal als Best-Case-Szenario zu betrachten, nicht als Worst Case. Das ist natürlich leichter gesagt als getan und braucht in aller Konsequenz dann schon einen etwas breiteren Rücken. Noch gar nicht gesprochen haben wir bis jetzt vom Aspekt der personellen Ressourcen. Sie spielen bei partizipativen Projekten eine entscheidende Rolle, darauf wurde bei verschiedenen Tagungen und Workshops immer wieder hingewiesen, und ich kenne das Thema aus eigener Erfahrung. Partizipative Projekte sind zeitintensiv, und da viel Beziehungsarbeit drinsteckt, brauchen sie viel Energie, Kraft und Durchhaltevermögen.
Bei mir persönlich stelle ich eine Verschiebung des Interesses von grösseren, längeren P-Projekten mit umfangreichen, präsentierbaren Resultaten hin zu kleinen, kurzen, einmaligen Aktivitäten auf individueller Ebene, die kein greifbares Produkt generieren, das anderen zugänglich gemacht werden kann. Im Vorfeld unserer Wechselausstellung Planetopia organisierten wir Pop-ups ausserhalb des Museums, zum Beispiel am Markt in Langnau oder in der öffentlichen Badi in Reiden. Wir stellten dabei den Dialog ins Zentrum. Um die Qualität des Austauschs nicht zu beeinträchtigen, verzichteten wir ganz bewusst darauf, gleichzeitig auch noch Inhalte für die Ausstellung (Statements, Zitate, Videos, Fotos etc.) zu generieren. Ist es legitim, in einem Museum Projekte zu realisieren, aus denen kein Produkt entsteht, das anderen Menschen zugänglich gemacht werden kann? Inwiefern kann, soll, muss Partizipation den traditionellen Aufgaben des Museums – sammeln, bewahren und ausstellen, vermitteln – dienen?
Im internen «Haltungspapier Partizipation», das 2020 für unser Museum verfasst wurde, steht, dass wir bei der Partizipation auf Mehrwert für alle Beteiligten achten, das heisst für die Partizipierenden genauso wie für die später Rezipierenden. Die Kommunikator:innen in unserem Museum arbeiten bei ihren Tagesaktivitäten aber oft partizipativ, ohne dass sie dabei auf ein zu rezipierendes Produkt abzielen. Diese Praxis wird bei uns im Haus – soweit ich weiss – nicht in Frage gestellt. Hängt das schlicht damit zusammen, dass wir eine Tagesaktivität anders beurteilen, als ein Partizipationsprojekt, das über mehrere Monate läuft? Oder vielleicht eher damit, dass die Tätigkeit der Kommunikator:innen nach wie vor als Vermittlungsarbeit wahrgenommen wird und das Prozesshafte deshalb völlig ok ist? Hm … Wäre es nicht interessant, wenn wir auch das Kuratieren von Ausstellungsprojekten weniger produktorientiert und stärker prozesshaft angehen würden?
MUSEEN FÜR MENSCHEN
Am Workshop von Netzwerk P auf Schloss Burgdorf im Januar 2024 diskutierten wir, ob Partizipation «nur» eine Methode oder eine Haltung ist. Natürlich ist sie in erster Linie eine Methode, die wir im Museum nach bestimmten Gesichtspunkten, Rahmenbedingungen und Regeln anwenden können. Damit diese Methode aber funktioniert, muss sie eben zu einer Haltung werden, die vom ganzen Museum mitgetragen wird. Denn sie hat das Potenzial, Veränderungen anzustossen. Bei den beteiligten Personen ganz sicher, manchmal auch darüber hinaus, in einzelnen Bereichen des Museums – oder im ganzen Haus. Wir waren uns in Burgdorf auch einig, dass Partizipation (im Museum, aber nicht nur da) das gegenseitige Verständnis fördert und somit zu einem verständnisvollen, rücksichtsvollen Zusammenleben beiträgt. Das ist ziemlich beeindruckend, finde ich. Aber stimmt die Behauptung überhaupt? Überschätzen wir uns und unsere Arbeit nicht ein bisschen? Sind wir mehr als ein Freizeitangebot? Es ist doch so: Unsere Gäste bezahlen Eintritt, verbringen bei uns eine mehr oder weniger gute Zeit und wenden sich dann dem nächsten Angebot zu. Oder passiert da mehr?
Für meinen Austausch mit den Kolleg:innen im Historischen Museum Frankfurt, die Grundlage für diese Blogreihe, stellte ich mir viele grundsätzliche Fragen: Was muss, soll, kann, darf ein Museum? Was sind seine Aufgaben? Welche gesellschaftliche Rolle spielt es in einer Zeit, wo vieles in Schieflage gerät, wo existenzbedrohende ökologische Probleme gelöst werden sollten und wo gesellschaftspolitische Gewissheiten, die wir als einigermassen stabil und gesichert ansahen, in Frage gestellt oder am Kippen sind? Museen sollten für die Menschen da sein, denke ich. Also: Was können wir für die Menschen tun? Was können wir für den sozialen Zusammenhalt tun? Wie können wir den Verwerfungen in der Gesellschaft entgegenwirken? Welche Verantwortung tragen wir? Was ist denn nun eigentlich die Aufgabe von uns Museumsleuten?
Puh! Grosse Fragen! Ich bin gespannt, wo sie mich in dieser Woche hintragen. Ganz ergebnisoffen.
Worum geht's hier?
Vom 10. bis 14. Februar verbringe ich fünf Tage im Historischen Museum Frankfurt. Ich tausche mich mit Mitarbeitenden und Teilnehmenden von Partizipationsprojekten aus und halte meine Eindrücke und Erkenntnisse jeweils in einem Blogbeitrag fest. Die Beiträge werden täglich um 18:00 Uhr publiziert.
Was denkst du zu diesem Thema? Welche Erfahrungen hast du in deiner Museumstätigkeit gemacht? Wo siehst du die grossen Herausforderungen? Was freut oder stört dich? Nimm an der Diskussion teil und schreib einen Kommentar. Gib bei deinem Namen auch an, wo du arbeitest. Und halte dich so kurz wie möglich – wie bei einem Ausstellungstext ;-) Herzlichen Dank!
Dieses Projekt wird unterstützt vom ICOM x Movetia Mobility Project.
Autor
Ueli Schenk, Ausstellungen, Museum für Kommunikation, Bern
Kommentare (5)
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Ueli Schenk, Museum für Kommunikationvor 2 WochenAntwortenJa, die Problematik mit der zeitlichen Verfügbarkeit - der Partizipierenden, aber auch von uns Museumsleuten - kenne ich. Die Idee, mit Menschen im Haus zu partizipieren, könnte da tatsächlich weiterhelfen. Die Frage der Entlohnung wird dann natürlich schnell zum Thema. Was passiert, wenn die freiwillige Partizipation zur bezahlten Mitarbeit wird? Wird das Dürfen/Können/Wollen dann zum Müssen? Wäre das schlecht? Gäbe es alternative Modelle der Wertschätzung resp. Entlohnung?
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Doreen Möldersvor 2 Wochen-2 Gut Schlecht AntwortenJa, andere Modelle der Wertschätzung und Anerkennung gibt es. Wenn wir alle nach unseren Kompetenzen, Fähigkeiten und nach dem arbeiten könnten, was uns ganz besonders Freude und Zufriedenheit gibt, wäre das die beste Wertschätzung. Wir leben allerdings in einer Gesellschaft, in der der Wert geleisteter abstrakter Arbeit über Geld eingeordnet wird. Solange dies so ist, können wir zumindest in kleinen Schritten Gerechtigkeit herstellen. Museen sind vielleicht gute Orte, um Prototypen für diese Art der Partizipation zu entwickelt.
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Doreen Mölders, HMFvor 2 WochenAntwortenVielen Dank für die interessanten Gedanken und Aspekte zum Thema Partizipation und Deine Fragen, die sich daran anschließen! Meine Erfahrungen mit Partizipation haben bei mir die Erkenntnis hinterlassen, dass Teilhabe an Museumsprojekten für die Teilnehmenden oft zu voraussetzungsvoll ist. Die Beteiligung muss in unsere Rahmenbedingungen passen: in der Regel unter der Woche zu unseren Arbeitszeiten auf unsere Termine hin ausgerichtet. Für berufstätige Menschen eine Unmöglichkeit. Auch die Frage der Entlohnung schließt sich hier an. Deshalb stelle ich mir die Frage, warum partizipieren wir nicht zunächst einmal mit den Menschen, die sich bereits im Haus befinden? Mit Hausmeister:innen, Tischler:innen, Verwaltungsmitarbeiter:innen, Reinigungskräften, Guides, Kassenkräften, Restaurator:innen, Praktikant:innen etc. Nach meinem Verständnis müsste dann aber auch die Entlohnung entsprechend geregelt sein. D. h. alle Menschen, die an ko-kreativen Workshops, Testings, Feedbacks etc. teilnehmen, enthalten für die investierte Zeit den gleichen Lohn.
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Nico Gurtner, Museum für Kommunikationvor 2 Wochen-2 Gut Schlecht AntwortenMir gefällt dieser Gedanke der „naheliegenden Partizipation“ sehr. Diesbezüglich bietet auch das Museumsquartier Bern viele Möglichkeiten - denn wie sich in den letzten Jahren gezeigt hat, sind schon nur die Welten zwischen den hier nebeneinander liegenden Bildungs-, Kultur- und Gedächtnisinstitutionen sehr unterschiedlich. Vielleicht suchen wir manchmal zu weit? Oder braucht es vielmehr Partizipation auf vielen unterschiedlichen Ebenen?
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Ueli Schenk, Museum für Kommunikationvor 2 Wochen0 Gut Schlecht AntwortenSorry, Anfängerfehler. Mein Kommentar oben war natürlich als Antwort auf deinen Kommentar, Doreen, gedacht! ;-)
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