Was kann das Museum? Teil 5/5 – Fazit
Die Aufgaben und Möglichkeiten von Museen wandeln und erweitern sich ständig. Was bedeutet es, wenn sich das Museum von einem kulturellen Ort zu einem sozialen Resonanzraum der gesellschaftlichen Auseinandersetzung und Meinungsbildung entwickelt? Im fünften und letzten Teil dieser Blogreihe fasse ich zusammen, was wir in dieser Woche punkto Partizipation herausgefunden haben, was ich mitnehme und welche Fragen bleiben.
vielfalt und wertschätzung
Zur Vorbereitung meines Austauschs habe ich verschiedene Publikation und Aufsätze nochmals durchgeblättert. Ich fand viele kluge, nützlich, anregende, auch kontroverse Aussagen, die ich bei der ersten Lektüre markiert und unterstrichen hatte. Auch Tagungsunterlagen aus den vergangenen Jahren und meine Notizen dazu schaute ich durch. Mir wurde dabei bewusst, dass viele der Gedanken, die bei den Konferenzen zur Sprache gekommen waren, in meine Museumsarbeit eingeflossen sind. (Eine beruhigende Erkenntnis, die sicher auch meinen Arbeitgeber freut, der mir alle diese Tagungsbesuche ermöglicht hat.) Was mir bei diesem Rückblick auch begegnete, sind Schlagworte. Ich habe 42 davon auf Post-its festgehalten und hängte sie an den drei Workshops im Historischen Museum Frankfurt jeweils im Raum auf. Die Schlagworte machen das Wesentliche des Themas greifbar und bleiben gleichzeitig offen, interpretierbar und assoziativ. Am Schluss der Workshops fragte ich die Anwesenden jeweils, zu welchen Begriffen sie sich im Zusammenhang mit partizipativen Formaten hingezogen fühlten. Sie konnten drei Klebpunkte vergeben und damit ihre Favoriten markieren. Es ist schliesslich so: Ein Workshop, in dessen Verlauf die Teilnehmenden nicht irgendwann Punkte kleben dürfen, ist kein richtiger Workshop. Also klebten wir Punkte. Hier sind die Ergebnisse der Befragung:
- Drei Punkte erhielten folgende Begriffe: Wertschätzung, Beziehungen, Vielfalt und Reflexion des Gemeinsamen.
- Zwei Punkte erhielten die Schlagworte Vertrauen, Verhandlungsort, Respekt und gemeinsame Bezugspunkte.
- Je einen Punkt erhielten die Begriffe Zeit, Arbeit, gemeinsames Lernen, aushandeln, Plattform, multiperspektivisch, Heterogenität, Vernetzung, Zugänglichkeit, Glaubwürdigkeit, Offenheit und aushalten. Auch der Begriff «scheitern» bekam einen Punkt.
- Nicht markiert wurden die Wörter Forum, Instrumentalisierung, Einfluss, Selbstzweck, Leistungsauftrag, Erfolg, Konflikt, Kontroverse, Harmonie, streiten, Öffnung, Transparenz, Agilität, Raum, Entscheidungsmacht, Deutungshoheit, Macht, Erwartung, Saf(er) Place, Humor und Belastung.
Angela und ich bildeten mit den bepunkteten Begriffen nun noch Cluster, was folgendes Bild ergab: Als besonders wichtig erachteten die Workshop-Teilnehmenden die drei Cluster
- Vielfalt / multiperspektivisch / Heterogenität
- Wertschätzung / Respekt sowie
- Reflexion des Gemeinsamen / gemeinsame Bezugspunkte. Dieses Begriffspaar geht auf Andreas Reckwitz zurück (‘Kulturkonflikte als Kampf um die Kultur: Hyperkultur und Kulturessenzialismus’ in: Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne, Suhrkamp, 2019).
Wichtig waren weiter auch die Aspekte Vernetzung / Beziehungen und Verhandlungsort / aushandeln.
Interessant ist, dass es bei der Beurteilung der Schlagworte kaum Differenzen zwischen den Museumsleuten und den freiwillig Teilnehmenden gibt. Bei den Begriffen mit zwei oder drei Punkten wurde nur der Begriff «Respekt» ausschliesslich von Freiwilligen markiert. Alle anderen Schlagworte erhielten von beiden Seiten Punkte. Bei den Begriffen mit einem Punkt wählten die Freiwilligen die Schlagworte Zeit, Arbeit, Plattform, Heterogenität und Vernetzung aus, die Museumsleute die Schlagworte gemeinsames Lernen, aushandeln, multiperspektivisch, Zugänglichkeit, Glaubwürdigkeit, Offenheit, aushalten und scheitern. Zu ihrem Votum für den Begriff «scheitern» stellte die betreffende Museumsmitarbeitende klar, dass sie das Scheitern keineswegs anstrebe. Aber da es als Möglichkeit zu jedem ergebnisoffenen Prozess gehöre, finde sie es interessant und auch notwendig, diesen Aspekt mitzudenken.
Natürlich sind die Ergebnisse dieser kleinen Befragung nicht repräsentativ. Die Teilnehmenden stehen der Partizipation alle sehr positiv gegenüber – weshalb sie sich auch bereiterklärt haben, am Austausch teilzunehmen. Angela betont aber, dass die Freiwilligen nicht etwa für die Workshops gecastet waren.
dran bleiben!
Bei Quiche und Tomatensuppe setze ich mich heute nochmals mit Angela zusammen, um ein Fazit zu ziehen. Es fällt für uns beide sehr positiv aus. Sich die Zeit für den Austausch zu nehmen, das Tagesgeschäft für einen Moment zu verlassen und das eigene Tun gemeinsam mit anderen zu reflektieren, hat sich gelohnt. Es war bereichernd und ermutigend. Wir fühlen uns darin bestätigt, dass die Arbeit mit partizipativen Formaten Kraft hat und nicht Selbstzweck ist. Was uns besonders gefällt: Partizipation verbindet individuelle, teils sehr persönliche Erlebnisse und Erkenntnisse mit einer grossen gesellschaftspolitischen Relevanz. Das Politische ist privat, das Private politisch. Was uns aber, einmal mehr, auch klar geworden ist: Mit partizipativen Angeboten erreichen wir nur eine bestimmte Zielgruppe. Wir stärken die, die eh schon dabei sind, die die Offenheit und die Möglichkeiten haben, sich einzubringen, sich zu engagieren. Jene, die privilegiert sind. Wie schaffen wir es, auch andere einzubeziehen? Vielleicht, indem wir kleinere Formate realisieren, die auf eine einmalige Aktivität der Partizipierenden abzielen, wie zum Beispiel das Projekt Speech Babel. Oder eben indem wir das Museum und unsere Bubble verlassen und direkt zu den Leuten hingehen.
Mich beschäftigt auch noch eine andere Frage: Was ist mit den Menschen, die, sagen wir es mal so, auf der anderen Seite des politischen Spektrums zu verorten sind, die uns und unserer Arbeit kritisch bis ablehnend gegenüberstehen, die einfache Lösungen für die grossen gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Probleme fordern und bevorzugen? Sollten wir nicht auch ihnen Teilhabe ermöglichen? Heisst es nicht immer, dass der Dialog mit ihnen nicht abbrechen darf? Bloss: Habe ich die Kraft, die Geduld, den Willen dazu? Will ich mir das wirklich zumuten? Ehrlich gesagt: nein. Hat doch eh keinen Sinn, ich kann sie nicht von meinen Ideen überzeugen. Oder mache ich es mir damit zu einfach? Haben wir Museumsleute nicht eine gesellschaftliche Verantwortung, die auch eine persönliche Verantwortung ist?
Vielleicht muss sich da jedes Museum an den Möglichkeiten und Mitteln orientieren, die ihm zur Verfügung stehen. Vielleicht ist es auch ein Weg der kleinen Schritte. Wir können helfen, Unsicherheiten, Scham abzubauen, wir können Menschen ermutigen, sie ermächtigen. Die Gespräche in den drei Workshops und auch viele Kommentare zu den Blogbeiträgen zeigen, dass durch unsere Aktivitäten vieles aus dem Museum hinausgetragen wird und ausserhalb der Museumsmauern Wirkung entfaltet. Vieles davon kriegen wir gar nicht mit. Bleiben wir also dran! Arbeiten wir weiter an der Transformation unserer Institutionen. Das Bild des Museums als schwerer Tanker ist ein bisschen abgedroschen, aber eben auch nicht ganz verkehrt. Museen reagieren träge und verzögert auf Kurskorrekturen. Aber sie reagieren – und werden dabei wahrgenommen. Es empfiehlt sich, die nach wie vor hohe Glaubwürdigkeit der Institution Museum nicht zu diskreditieren. Ungeachtet dessen, findet es Angela wichtig, Setzungen zu machen. «Wir müssen sagen, wie wir es sehen!»
Es war eine intensive Woche, die bei mir noch ein Weilchen nachhallen wird. Gut so! Ich danke den Teilnehmenden der Workshops für ihre Zeit und die Einsichten, die sie mir gewährt haben, den Mitarbeitenden des Historischen Museums Frankfurt für die Gastfreundschaft und Unterstützung, insbesondere Doreen, Franziska und Susanne, und den Kommentierenden der Blogbeiträge für ihre Gedanken, Fragen und Anregungen. Ganz besonders danke ich dir Angela, für deine Zeit, deine Unterstützung und deine Gastfreundschaft.
Worum geht es hier?
Vom 10. bis 14. Februar verbringe ich fünf Tage im Historischen Museum Frankfurt. Ich tausche mich mit Mitarbeitenden und Teilnehmenden von Partizipationsprojekten aus und halte meine Eindrücke und Erkenntnisse jeweils in einem Blogbeitrag fest. Die Beiträge werden täglich um 18:00 Uhr publiziert.
Was denkst du zu diesem Thema? Welche Erfahrungen hast du in deiner Museumstätigkeit gemacht? Wo siehst du die grossen Herausforderungen? Was freut oder stört dich? Nimm an der Diskussion teil und schreib einen Kommentar. Gib bei deinem Namen auch an, wo du arbeitest. Und halte dich so kurz wie möglich – wie bei einem Ausstellungstext ;-) Herzlichen Dank!
Dieses Projekt wird unterstützt vom ICOM x Movetia Mobility Project.
Autor
Ueli Schenk, Ausstellungen, Museum für Kommunikation, Bern
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