Technik als Retterin der Menschheit
Brauchen wir doch mehr statt weniger Technologie, um etwa die Klimakrise zu bewältigen? Es ist eine Frage, wem wir mehr vertrauen, unseren Mitmenschen oder Maschinen. Dabei vergessen wir, dass beide längst in einigen Bereichen miteinander verschmolzen sind und somit eine technisierte Gesellschaft für das Lösen der wichtigen Probleme gefragt ist.
Es könnte zum Treppenwitz der Technikgeschichte werden, zur Moral von der Geschicht, mit der niemand mehr gerechnet hat: Brauchen wir vielleicht noch viel mehr statt weniger Technologie, um die grossen Probleme zu meistern, mit denen sich die Menschheit eingangs des 21. Jahrhunderts konfrontiert sieht? Nehmen wir das Geo-Engineering, die Idee also, den Klimawandel mit erfinderischen Eingriffen ins Klimasystem zu bekämpfen. Lange wurde sie von Klima-Aktivist:innen als Pseudo-Lösung verschrien und rundweg abgelehnt. Jetzt setzt im aktuellen Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change und sogar der Weltklimarat auf technische Ansätze, um mit den laufend steigenden CO2-Werten fertig zu werden. Ideen, wie das gehen soll, gibt es viele. Sie reichen von der naheliegenden CO2-Abscheidung aus der Atmosphäre bis hin zu Vorschlägen, die eher nach Sci-Fi klingen (wie grossflächige Algendüngung oder wolkenproduzierende Schiffe). Eines ist all diesen Ideen gemein: Im grossen Stil erprobt sind sie noch kaum. Aber rechtfertigt das ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem Ansatz?
Denn darum geht es eigentlich, wir stellen die Vertrauensfrage in Sachen Technik. Wer sich ein wenig auskennt mit populärer Wissenschaftsliteratur der weiss, dass unsere Beziehungsgeschichte mit der Technik ausgeprägte Aufs und Abs kennt. Man nehme ein beliebiges Sachbuch aus den 1950ern oder 1960ern – nichts als bunt illustrierte und sehr tech-affine Zukunftshoffnung. Egal ob es um die Eroberung des Weltalls oder die alltägliche Nutzung der Kernenergie geht. Dann kam die Umweltbewegung, es kam der Bericht des Club of Rome, dem Zusammenschluss von Expert:innen verschiedener Disziplinen, die vor genau 50 Jahren «Die Grenzen des Wachstums» publizierten. Seither knorzen wir an diesem Verhältnis herum, das ebenso eng wie kompliziert ist. Kleine Klammer: Mit dem Internet kamen da noch einmal ein paar Frühlingsgefühle auf, aber sie hielten nicht sehr lange an. Stand heute – grosse Ernüchterung. Man hat sich irgendwie auseinandergelebt. Und kann doch nicht ohne einander.
Man kann das derzeit gut im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz (KI) betrachten. Während Hollywood und Konsorten sich nach wie vor am liebsten den ultimativen Machtkampf Mensch gegen Maschine ausmalen, hat sich die Technologie längst mitten hinein in unseren Alltag geschlichen, beinahe unbemerkt. Auf jedem Handy läuft inzwischen sehr avancierte KI-Technologie. Beziehungsweise irgendwo in der Cloud, Technik verliert ja gerade sehr an Greifbarkeit. Die Mensch-Maschinen-Frage ist eher eine der Verschränkung, kein Showdown mit grimmigem «This Town Ain’t Big Enough for Both of Us» («Diese Stadt ist nicht groß genug für uns beide»). Zu viel Angst sollte man also wohl nicht haben vor der KI, zu viele Hoffnungen sollte man ihr aber auch nicht aufladen. Wie las man eben auf Twitter?
Imagine giving 44 billions to a bunch of smart scientists to find solutions for our major problems of the antrophocene: reverse #climatechange, prevent future #pandemics at the roots, secure global #foodsupply & #healthcare for all, find solutions for the #Biodiversitycrisis...
ÜBERSETZUNG: Stellen Sie sich vor, Sie geben 44 Milliarden an einen Haufen kluger Wissenschaftler, um Lösungen für unsere größten Probleme des Antrophozäns zu finden: den #Klimawandel umkehren, künftige #Pandemien an der Wurzel verhindern, die globale #Nahrungsmittelversorgung und #Gesundheitsversorgung für alle sichern, Lösungen für die #Biodiversitätskrise finden...
Ein Tweet von Isabelle Eckerle, Professorin am Genfer Zentrum für neu auftretende Viruskrankheiten
Das ist «Solutionism» in Reinkultur. Zu Deutsch und laut Wikipedia ist Solutionismus abgeleitet vom englischen Wort «Solution» für Lösung und bezeichnet die Ideologie der Weltverbesserung durch Big Data, also riesige Datenmengen. Der belarussische Autor Evgeny Morozov hat den Begriff in seinem Buch «To save everything, click here : the folly of technological solutionism» geprägt (übersetzt: «Um alles zu retten, klicken Sie hier: Die Torheit des technologischen Solutionismus»). Letztlich zielte seine Kritik darauf ab, dass komplexe, gesellschaftliche Probleme nicht einfach mit einem technischen Beheben zu lösen sind. Nur so als kleine Erinnerungshilfe: Die Covid-App, war da etwas? Technik ist nie verkehrt, aber sie gehört in einen grösseren, gesellschaftlichen Kontext. Sie allein wirds nicht richten.
Die technischen Weltrettungs-Visionen kommen also zu einem denkbar seltsamen Zeitpunkt. Dass sie sich trotzdem halten, hat einen einfachen Grund. Die derzeitige Vertrauenskrise betrifft nicht nur die Technik, sondern mindestens ebenso sehr den Menschen. Die aktuellen Technik-Apostel:innen wägen einfach ab. Was sind die Chancen und Risiken, wenn wir den Menschen ans Steuer lassen? Und wie sieht es aus, wenn wir es Maschinen überlassen? Wird es mehr oder weniger Verkehrstote geben, wenn nur noch selbstfahrende Autos unterwegs sind? Es wurde auch schon vorgeschlagen, der KI die Führung zu überlassen in Sachen Klimakrise, weil wir Menschen ja offensichtlich nicht fähig sind, Auswege aus dem Schlamassel zu finden. Mitunter läuft das auf eine eher unsympathisch, auf den Gesamtnutzen ausgerichtete, also rational berechnende Ethik hinaus. Mehrheitsfähig wird ein solcher Umgang mit Technik kaum sein. Wir Menschen und Maschinen sollten dringend wieder einen besseren Umgang miteinander finden. Denn es sieht ganz so aus, als wären wir noch ein wenig länger in dieser vertrackten Beziehungskiste gefangen als uns richtig lieb ist. Werden die Technikhistoriker:innen des 22. Jahrhunderts womöglich staunend auf die aktuelle Episode zurückschauen und sich fragen: Wie haben die das bloss geschafft, der Technik noch einmal zu vertrauen, im Moment der Krise?
Autor
Roland Fischer, freier Wissenschaftsjournalist und Organisator von Wissenschaftsevents.