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Die Dinge gendern sich...

Sprache lebt. Sie wandelt sich. Was gestern gängig und akzeptiert war, kann heute veraltet, diskriminierend und verletzend wirken. Was bedeutet das für die Texte in unserer Dauerausstellung? Wie sollen wir auf den Wandel in der Sprache reagieren? Dem gehen wir mit einem Projekt auf den Grund!

DYNAMISCH KURATIEREN

Dauerausstellungen altern unweigerlich. Bestimmte Bereiche haben wir bei uns deshalb so konzipiert, dass wir sie bei Bedarf leicht anpassen können. Das nennen wir dynamisches Kuratieren. Dazu gehören zum Beispiel IT-Stationen mit Infotexten, Abbildungen und Videos. Im Hintergrund können wir die Inhalte in diesen Stationen recht einfach ändern und aktualisieren. Daneben gibt es auch Vitrinen und partizipative Angebote, die wir dynamisch kuratieren.

Woran wir beim Konzipieren der Ausstellung nicht gedacht haben: Auch die Sprache und ihr Gebrauch wandeln sich. Hier hat sich in den Jahren seit der Eröffnung 2017 eine gewisse Dynamik entwickelt. Das Bewusstsein und die Sensibilisierung für Inklusion und Vielfalt hat zugenommen, sowohl in der Öffentlichkeit wie auch innerhalb unseres Museumsteams. Themen wie die Gleichstellung der Geschlechter, struktureller Rassismus oder Sexismus werden stärker wahrgenommen und in der Öffentlichkeit diskutiert. Ich finde das eine gute Entwicklung. Sie ist aber auch von Turbulenzen begleitet. Die Zusammenhänge sind komplex und es gibt kaum verbindliche Richtlinien. Entsprechend ist vieles umstritten und löst Emotionen aus. Trotzdem – oder gerade darum – ist es wichtig, dass wir uns mit unserer Sprache auseinandersetzen. Schliesslich prägt sie unser Denken und unsere Wahrnehmung.

«Ist das noch korrekt?» Ab und zu machen Besuchende unsere Kommunikator:innen auf veraltete oder unkorrekte Begriffe und Formulierungen in den Ausstellungstexten aufmerksam. Wir schätzen diese Rückmeldungen und besprechen sie im Ausstellungsteam. Ist die Kritik berechtigt? In welchem Kontext steht die beanstandete Textstelle? Welche Alternativen bieten sich an? Oft finden wir nicht auf Anhieb die passende Antwort. Selten gibt es ein klares Richtig oder Falsch. Es geht also darum, eine Haltung zu entwickeln und diese ständig zu hinterfragen und weiterzudenken. Häufig kommen wir zum Schluss, dass bei einer beanstandeten Passage Handlungsbedarf besteht. Das Problem: Oft sind gedruckte Texttafeln betroffen. Da ist eine Neuproduktion mit Textkorrektur, Übersetzung in die zwei anderen Ausstellungssprachen, Layout, Gestaltung, Produktion und Montage aufwändig und kostet Geld. Unsere personellen Ressourcen und die finanziellen Mittel für den Unterhalt der Ausstellung aber sind begrenzt. Und einfach mit dem Edding oder mit einer Klebetikette korrigieren, das geht ja wohl auch nicht … oder … Moment mal!

Eine blaue Texttafel mit weissen Abbildungen und Text. Darauf sind deutlich sichtbar mit gelb Texte korrigiert. - vergrösserte Ansicht
Aktualisierte Fakten im Futurium in Berlin.
Foto eines Ausschnitts einer Wand im Museum. Gross ist das Zitat zu lesen: "The only thing that's real is how we engage with our fellow human beings". Darunter gut sichtbar korrigiert der Name der Urheber:in: Kae Tempest. - vergrösserte Ansicht
Das Zitat von Kae Tempest in unserer Dauerausstellung.

KREATIVE MÖGLICHKEITEN

Im Juni 2022 besuche ich das Futurium in Berlin. Das Haus, das sich der Auseinandersetzung mit möglichen Zukünften widmet, ist 2019 eröffnet worden. Dort begegne ich einer Texttafel mit statistischen Angaben zu unserer Konsum- und Wegwerfgesellschaft. Verschiedene Zahlen, die die Kurator:innen wenige Jahre zuvor für die Ausstellung recherchiert haben, sind offensichtlich veraltet. Nun sind sie mit gelber Folie korrigiert worden, und zwar so, dass die alten Zahlen durchschimmern und ich sie nach wie vor entziffern kann. Genial! Ich erhalte nicht nur die aktuellen Daten vermittelt, sondern ich kann auch erkennen, wie sie sich in den vergangenen Jahren entwickelt haben.

In unserer Dauerausstellung haben wir bei einem Zitat von Kae Tempest auch schon in eine ähnliche Richtung experimentiert. Kae ist eine britische Person, die im Rap, in der Lyrik und in der Literatur unterwegs ist. Als wir die Aussage 2016 für die Ausstellung auswählen, ist Kae noch unter dem Namen Kate bekannt. 2020 bekennt sich Kae auf Twitter zu einer nichtbinären Geschlechtsidentität und erklärt, sich künftig Kae zu nennen. Eine Besucherin macht uns darauf aufmerksam, dass in unserer Ausstellung noch der alte Name steht. Die einfachste Lösung: die grosse Zitattafel neu produzieren. Der Fehler wäre verschwunden und niemand hätte sich mehr für den Namenswechsel und die Hintergründe interessiert. Wir entscheiden uns aber für eine Korrektur, die für das Publikum sichtbar und nachvollziehbar ist. Die Materialien wählen wir so, dass sie sich ins Gesamtbild einfügen, aber als Ergänzung erkennbar bleiben. Nun erläutert ein kurzer Text den Sachverhalt und die Besuchenden können über einen QR-Code den Tweet von Kae aufrufen.

Es gibt also durchaus Möglichkeiten, kreativ mit den Herausforderungen des Sprachwandels umzugehen. Auch bei Texttafeln. Das sehen auch unsere Kommunikator:innen so. Sie beginnen, einzelne beanstandete Textpassagen gemeinsam mit den Besuchenden direkt in der Ausstellung zu markieren. Die Botschaft dahinter: Wir sind uns des Fehlers bewusst, wir arbeiten dran.

Ein Blatt Papier auf dem skizzenhaft der Ablauf von "Die Dinge gendern sich" dargestellt ist.
Ein weisses Ringheft mit einem grossen roten Kleber drauf: Die Dinge gendern sich.
Ein weisses Ringheft mit aufgeschlagener Seite. Darauf zu sehen ist ein Formular mit Beschreibung eines Ausstellungsinhalt, der nicht mehr zeitgemäss ist.
Mehrere Klebebogen, darauf rote Sticker "Die Dinge gendern sich" auf weissem Grund.
Ein Bild einer Wand im Museum für Kommunikation. Es geht hier um "Time for some research" - daneben ein blaues Papier mit dem Kleber von "Die Dinge gendern sich" und einer Erklärung des Projektes.

MIT QR-CODE UND FORMULAR

Mit diesen Eindrücken im Kopf machen wir uns daran, ein Konzept zu entwerfen, das alle unsere Ansprüche erfüllt. Die sind zahlreich (denn Museumsleute überlegen sich ja immer unheimlich viel). Ganz zuoberst: Wir wollen unsere Besuchenden einbeziehen. Sie sollen unsere Texte kritisch lesen und uns auf allfällige Mängel aufmerksam machen. Falls es etwas zu korrigieren gibt, sollen die Korrekturen sichtbar und nachvollziehbar sein. Denn mit den Anpassungen wollen wir den Wandel in der Sprache und im Sprachgebrauch sichtbar machen. Das sensibilisiert für problematische Formulierungen und fördert den bewussten Umgang mit Sprache. Die Änderungen sollen zudem einfach auszuführen, überall anwendbar und so gestaltet sein, dass sie als kuratierter Bestandteil der Ausstellung erkennbar sind. Für die Umsetzung sehen wir eine Lösung mit roten Markierungspunkten und halbtransparenter Klebfolie in einer leuchtenden Farbe vor, dazu ein Logbuch, um die Beanstandungen, mögliche Alternativen und die Argumente dafür oder dagegen schriftlich festhalten zu können.

Nun wenden wir uns an den Grafiker. Er hat eigentlich nur den Auftrag, passende Materialien für die Umsetzung zu finden. Doch er spielt uns ein überarbeitetes Konzept zurück, dass unsere Ideen aufnimmt und weiterentwickelt. Sein Vorschlag sieht vor, dass wir Text-Passagen, die von Besuchenden beanstandet werden, mit einem QR-Code-Kleber markieren und die Kritikpunkte in einem Formular festhalten. Anschliessend scannen wir das Formular und legen es auf unserer Website ab. Interessierte können mit dem Smartphone den QR-Code scannen, auf das betreffende Formular zugreifen und sich über den konkreten Fall informieren. Wow, sagen wir begeistert, so machen wir’s!

Der hübsche Titel «Die Dinge gendern sich» begegnet uns übrigens in einem Ratgeber zum besseren Zusammenarbeiten. Die Autoren versichern uns, die Formulierung sei nicht auf ihrem Mist gewachsen, allerdings wüssten sie auch nicht mehr, woher sie genau stamme. Jedenfalls gefällt sie uns, denn sie fasst das weite Thema des Sprachwandels witzig und pointiert zusammen. Bloss, wie übersetzen wir dieses Wortspiel? Mit unseren Übersetzerinnen finden wir eigenständige Titel auf Französisch («Que des mots?» – mit Fragezeichen) und auf Englisch («Words matter!» – mit Ausrufzeichen). Die drei Titel fassen die unterschiedlichen Aspekte des Projekts treffend zusammen.

Eine Vitrine im Museum, darin ist ein Tomahawk zu sehen. Darüber ein Text mit einem roten Punkt markiert.
Eine Nische im Bereich "Datacenter" im Museum für Kommunikation. Rechts eine Projektion, links eine Texttafel mit einem roten Punkt.
Blick in den Ausstellungsteil "Change" im Museum für Kommunikation. Eine Statue eines Standesläufers, eine Schreibstation und eine riesige Briefmarke als Hintergrund.
Blick auf eine Wand im Bereich "Labor" im Museum für Kommunikation.
Eine Texttafel im Museum. Im Französischen beginnt der Satz mit "Les hommes..." - darüber ein roter Kleber auf dem steht "humains".
Ein Ausschnitt einer Wand im Museum - in einer Vitrine sind verschiedene Kleidungsstücke zu sehen.

AUCH IM ÖFFENTLICHEN RAUM

Bis jetzt haben wir vierzehn Formulierungen in unserer Dauerausstellung mit einem roten Kleber markiert und uns eingehend mit den Beanstandungen auseinandergesetzt. In einem Fall führt die Kritik sogar dazu, dass wir ein Ausstellungselement von Grund auf überarbeiten und neu konzipieren. «Die Dinge gendern sich» funktioniert – und stösst in der Museumsszene auf reges Interesse. Wir können das Projekt an internationalen Museumstagungen in London und Amsterdam vorstellen. Die Resonanz ist so positiv, dass wir unsere Idee auch ausserhalb der Museumsmauern umsetzen. Bei uns am Museumsempfang können Sie gratis rote Kleber beziehen. Markieren Sie damit unkorrekte, diskriminierende oder unzeitgemässe Formulierungen im öffentlichen Raum und helfen Sie mit, das Bewusstsein für eine vielfältige, inklusive und nicht-diskriminierende Sprache zu fördern. Denn eins ist klar: Die Dinge gendern sich!

PS: Eine unbekannte Person hinterliess in der Ausstellung einen Zettel mit folgendem Kommentar: «Andererseits muss man ja auch nicht immer gleich alles übersensibel nehmen!» Auch wieder wahr. Wir bleiben dran!

Autor

Ueli Schenk, Ausstellungen, Museum für Kommunikation, Bern

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