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Digitale Strategie und geschlossenes Museum

Mit Blick auf die Herausforderungen und Chancen der digitalen Zukunft präsentierte das Museum für Kommunikation in Bern Anfang 2020 eine digitale Strategie. Diese musste durch die Corona-Pandemie unerwartet rasch umgesetzt werden. Ein Kraftakt, wie Christian Rohner, Leiter Ausstellungen und digitales Museum, aufzeigt.

Anfang Februar 2020: Wir präsentieren den Medien unsere taufrische digitale Vision eines «Museums ohne Schliesszeiten». Während eines Jahres hat ein Team von sechs Personen an dieser Strategie gearbeitet. Nun fällt der Startschuss für die Umsetzung – wir suchen die Balance zwischen dem Analogen und dem Digitalen. Dies zumindest ist unser Plan.

Mitte März 2020: «Das Museum ist bis auf Weiteres GESCHLOSSEN.» So lautet die Botschaft auf der Website des Museums für Kommunikation. Ich hätte nie gedacht, dass es so weit kommen könnte: Eine Pandemie namens Corona hat das Leben in der Schweiz lahmgelegt und auch die Museumswelt überrascht. Die Krise und die von der Regierung per Notrecht verfügte Schliessung aller Museen zwingen uns dazu, einige Aspekte unserer Zukunftsstrategie unfreiwillig schnell zu erproben. Um nicht komplett die Lichter in den Ausstellungen löschen zu müssen, testen wir neue Formate. Ab dem 24. März übertragen wir versuchsweise Führungen ins Netz: Viermal in der Woche begrüsst ein dreiköpfiges Team Besucherinnen und Besucher per Livestream. Das Online-Publikum wird auf einem 15-minütigen Rundgang zu einem bestimmten Thema durch eine der Ausstellungen geführt.

Smartphone statt Kamerateam

Die Einführung dieses neuen, digitalen Formats ist nicht einfach, denn in unserem Team hat niemand Erfahrung damit. Vor Corona haben wir entsprechende Möglichkeiten zwar angedacht, die Notwendigkeit, ein solches Projekt rasch zu realisieren, ergab sich jedoch erst mit dem Lockdown. Nun galt es, Nägel mit Köpfen zu machen: Auf welchem Kanal soll die Führung gestreamt werden? Was sind Konsequenzen in Bezug auf das Urheberrecht und (wie) sollen diese Führungen archiviert werden? Wie fühlen sich die Kommunikatorinnen und Kommunikatoren, wenn sie in eine Kamera sprechen? Die Antworten auf all diese praktischen Fragen können wir nur nach dem Trial-and-Error-Prinzip finden.

Der digitale Wandel der vergangenen Jahrzehnte zeigt sich im neuen Vermittlungsformat eindrücklich: Wäre für ein vergleichbares Vorhaben noch bis in die 1990er Jahre ein TV-Übertragungswagen samt Ton, Kamera und Moderation notwendig gewesen, reichen 2020 ein Smartphone und ein Streamingdienst. Das grundlegend veränderte Nutzungsverhalten im Umgang mit digitalen Inhalten kann für Institutionen aber auch zum Problem werden: Bilder von museumseigenen Sammlungsobjekten und Ausstellungen finden sich etwa in Fremddatenbanken, ohne dass die Quelle genannt wird oder Kontakt zu uns aufgenommen wurde. Mit der digitalen Strategie, die wir gemeinsam mit dem PTT-Archiv erarbeitet haben, wollen wir daher nicht nur in der virtuellen Welt präsenter werden, sondern auch dieser Problematik begegnen. Unser Museum und das PTT-Archiv sind in der Schweizerischen Stiftung für die Geschichte der Post und Telekommunikation zusammengeschlossen.

Zwei Hände halten ein iPad, darauf ist eine Person zu sehen, welche die Besuchenden in einem Live-Stream begrüsst. - vergrösserte Ansicht
Mehr als 30 live-Streams überträgt das Museum für Kommunikation im ersten Lockdown ins Netz und bleibt so mit seinem Publikum im Kontakt.

Katalysator für ein neues Museumsdenken

Unsere digitale Strategie verfolgt drei Stossrichtungen: die Präsenz in der virtuellen Welt auszubauen, die kulturelle Teilhabe zu stärken und das kulturelle Gedächtnis zu fördern. Die aufgezwungene physische Schliessung bringt uns dieser Vision nun ungewohnt schnell näher. Denn wer jetzt weiterhin erlebbar sein will, muss digital präsent sein, die digitale Präsenz weiter ausbauen. Die Pandemie wird zum Innovationstreiber beziehungsweise Katalysator für ein neues Museumsdenken.

Das erste Ziel unserer Strategie, die verstärkte «digitale Präsenz», drückt den Wunsch aus, das Museum für Kommunikation und das PTT-Archiv als vernetzte Gedächtnisinstitutionen zeit- und ortsunabhängig erlebbar zu machen. In der Konsequenz sollen die Institutionen ein «Museum und Archiv ohne Schliesszeiten» werden. Um längerfristig digital präsent zu sein, will das Museum zielgruppenspezifische Angebote entwickeln, etwa Ausstellungsbesuche mit weiterführenden Applikationen oder digitale Ausstellungsdokumentationen. Zusätzlich zum eigenen Metaportal möchten wir fünf Prozent der Inhalte des Archivs und der Sammlung auf häufig genutzten Plattformen wie Wikipedia oder Europeana verfügbar machen.

Unsere zweite Ambition gilt der «Kultur der Teilhabe». Diesbezüglich lassen sich zwei Anliegen festmachen: Zum einen sollen Besucher und Besucherinnen die Möglichkeit erhalten, Themen mitzubestimmen, Sammlungsobjekte und Geschichten vorzuschlagen. Zum anderen sollen Mitarbeitende kollaborativ und wo sinnvoll ortsunabhängig arbeiten können. Beides findet in der Pandemie neue Aufmerksamkeit: Im Livestream im Chat kann derzeit das Publikum neue Themen vorschlagen. Und dank der bereits 2019 vorgenommenen IT-Umstellung können die Mitarbeitenden heute problemlos im Homeoffice diverse Programme effizient nutzen.

Unser drittes Ziel betrifft das «kulturelle Gedächtnis». Die Inhalte des Museums und des PTT-Archivs sollen digital zugänglich gemacht und vernetzt werden, damit die Bestände leicht zu finden und langfristig gesichert sind. Wie wichtig dieser digitale Zugriff ist, zeigt sich in der jetzigen Situation, in der ein Besuch vor Ort nicht möglich ist.

Auf dem Foto ist der erste Reportagewagen des Schweizer Fernsehens zu sehen. Er stand von 1954 bis 1966 im Einsatz. - vergrösserte Ansicht
1954 war das Schweizer Fernsehen erstmals mit einem mobilen Reportagewagen unterwegs. Heute reicht für einen live-Stream ein gängiges Smartphone aus.

Vernetzung quer durch die Institutionen

Die Digitalisierung fordert uns aber auch organisatorisch heraus, denn sie bedingt eine Vernetzung, die sich nicht an gewachsenen Bereichsstrukturen orientiert. Auch bei uns sind die Entwicklung und die Umsetzung der digitalen Strategie Querschnittsaufgaben. Ein erster Schritt in diesem Kulturwandel war die Gründung des DigiLab, eines Sitzungsgefässes für ein Team von Personen aus allen Bereichen des Museums sowie des Archivs. Dieses Team hat die zwölfseitige digitale Strategie gemeinsam erarbeitet. Dazu gibt es ein Glossar und eine gemeinsame Planung für die etappierte Umsetzung. Das DigiLab koordiniert und kontrolliert die Entwicklung einer neuen Website, ein Konzept für das Ausstellen und Vermitteln, die Evaluation der Sammlungs- und Adressdatenbank, die Digitalisierung der Administrationsprozesse, die interne Kommunikation, digitale Langzeitarchivierung und zwei grosse Retrodigitalisierungsprojekte von nationaler Bedeutung. All dies wird freilich nur gelingen, wenn Drittmittel generiert werden können – denn während die Präsenz im digitalen Raum wächst, wird das Betriebsbudget nicht grösser.

Virtuelles Museum wird Realität

Als unser Museum die Türen wieder öffnen darf, stellt sich die Frage, wie wir das neu Erarbeitete mit dem Vertrauten verknüpfen können. Wir arbeiten daran, dass das «Museum und Archiv ohne Schliesszeiten» bald nicht mehr nur Vision ist. Die Livestream-Führungen, die Retrodigitalisierung unserer Bildbestände und das kollaborative Arbeiten im Netz sind ein Anfang. In Vorbereitung ist die erste virtuelle Ausstellung, ein Folgeprojekt zur Wechselausstellung «Sounds of Silence». Auch das Thema Corona – ein prototypisches Beispiel für kulturelles Gedächtnis – wird zu einem späteren Zeitpunkt einen Platz in der permanenten Ausstellung finden.

Digitale und analoge Angebote sollen künftig gleichwertig nebeneinanderstehen, miteinander verbunden sein und ergänzend genutzt werden. Die aktuelle Situation bietet uns dafür eine unerwartete Chance: Weil uns die analoge Welt derzeit nicht mehr zur Verfügung steht, müssen wir uns jetzt ganz in das Digitale hineingeben. Corona hat das Digitale entmystifiziert.

Wünschenswert wäre, dass die Schweizer Museen eine gemeinsame Plattform finden, auf der sich die einzelnen Institutionen mit ihren digitalen Angeboten präsentieren können, sodass das Tor zur digitalen Kulturwelt nicht anderen überlassen wird. Ich hoffe auch, dass sich Livestream-Führungen trotz Anlaufschwierigkeiten als bleibendes Angebot etablieren werden. Das Publikum, das sich am Dialog aktiv beteiligt hat, reagierte positiv. Streng genommen hätte es also heissen müssen: «Das Museumsgebäude ist bis auf Weiteres GESCHLOSSEN. Das Museum ist virtuell GEÖFFNET.»

Der letzte von über 30 live-Streams aus dem Museum für Kommunikation wurde am 2. Juli 2020 gesendet.

Autor

Christian Rohner, Leiter Ausstellungen und Digitales Museum, Museum für Kommunikation, Bern

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der Schweizer Museums Zeitschrift.

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