Hidden Stories – der Negativnachlass von Kurt Blum
Bilder sind Ausschnitte der Wirklichkeit. Das wird bei der Arbeit in unserer Sammlung deutlich – zum Beispiel mit den Negativen des bekannten Schweizer Fotografen Kurt Blum. Blum hat ikonische Werbebilder für die PTT geschossen. Mit der Aufarbeitung der über 6400 Bilder werden nun ganze Reportagen sichtbar, die den einfühlsamen Blick des Fotografen offenbaren.
In den Archivschränken des Museums für Kommunikation schlummert die Kommunikationsgeschichte der Schweiz im Fotoformat – insgesamt 500'000 Bilder, darunter auch das fotografische Erbe der PTT (Schweizerische Post-, Telefon- und Telegrafenbetriebe). Der ehemals grösste Arbeitsgeber der Schweiz vergibt damals viele Auftragsarbeiten. Es sind nicht selten namhafte Fotografen, welche die PTT in teilweise brillante Bilder fassen.
Viele dieser Bilder prägen noch heute das Bild der guten alten Post, die sich fürsorglich und persönlich um die Bürger:innen kümmert. Unzählige Bilder stammen aus einer Zeit, als Public Relations und Öffentlichkeitsarbeit immer zentraler werden und Unternehmen ihr Aussenbild aktiv zu gestalten beginnen. Wir können deshalb heute nur noch im Ansatz auflösen, was davon realer Alltag ist und wo die Selbstdarstellung der PTT beginnt. Diese Auftragsarbeiten sind also immer auch ein Zeitzeugnis, wie sich ein Unternehmen darstellen wollte – und im weitesten Sinne eine Reise in die Geschichte der Werbung.
So wurde beispielsweise 1956 der bekannte Fotograf Kurt Blum (1922-2005) mit seiner Kamera losgeschickt, um die Übergabe der AHV-Rente zu dokumentieren. Einen ganzen Tag lang begleitete Blum einen Postboten auf seinem Rundgang durch die Berner Altstadt und schoss rund 24 Bilder. Sie zeigen einen einfühlsamen und aufmerksamen Blick des Fotografen. Doch aus der Bildserie wählen die Verantwortlichen der PTT auf den Kontaktabzügen nur ein bis zwei Motive aus, von welchen der Fotograf einen Abzug für die weitere Verwendung erstellt. Eine kleine, nicht repräsentative Auswahl also.
Nun hat uns Kurt Blum kurz vor seinem Tod alle Originalnegative seiner PTT-Auftragsarbeiten als Schenkung übergeben. Anstatt rund 250 Abzüge, welche über die Jahre zu Werbezwecken von der PTT ausgewählt wurden, entdecken wir nun einen Schatz von über 6400 Bilder. Dank der Unterstützung von Memoriav können wir diese im 2022 digitalisieren, konservieren und sichern.
Beim Bearbeiten dieser Bildbestände fügen sich nun Einzelaufnahmen dank der erhaltenen Originalnegative zu einer bis anhin unsichtbaren Fotoreportage zusammen. Wir erfahren damit nicht nur, dass der Postbote eine wichtige Figur in der Grundversorgung der Gesellschaft ist und im Intimsten der einzelnen Personen, nämlich am Stuben- oder Küchentisch die Rente übergibt, sondern wir finden heraus, dass sich die Reportage an der Berner Postgasse abspielt. Wir lernen den differenzierten Blick des Fotografen kennen - er sieht auf den Boten wartende Personen, macht liebevolle Porträtaufnahmen einer älteren Frau, welche den Erhalt der Rente quittiert, hält fest, wie ein Junge skeptisch auf den Fotografen reagiert.
Bei einer zweiten Reportage ist Kurt Blum im Winter 1954 in Nesslau im Kanton St. Gallen unterwegs. Auch hier begleitet er einen Postboten auf dem Zustellgang. Wir können uns dank den zusätzlichen Bildern ein besseres Bild über diesen Ort mit seinen Menschen machen. Am Ende des Tages nimmt Kurt Blum uns sogar ins Wirtshaus mit.
Die Bearbeitung der Negative hat unseren Blick auf die Arbeit von Kurt Blum verändert: Wir erkennen nach Aufarbeitung dieses Nachlasses verschiedene, differenzierte und berührende Varianten wie unsere Vergangenheit mit unterschiedlichsten Wahrheiten erzählt werden kann.
Weitere versteckte Geschichten, Heiteres, Bewegendes und Kurioses aus dem Nachlass Kurt Blum gibt es im Museum für Kommunikation ab dem 21. Dezember 2022 zu entdecken. In der Kernausstellung werden Originalabzüge aus der Sammlung des Museums gezeigt und ermöglichen so, auch den Charme des physischen Bildes zu erleben.
Autorin
Luciana Rudaz, Konservatorin-Restauratorin Fotografie, Museum für Kommunikation, Bern
der Beitrag gefällt mir sehr gut.
Als Redakteurin des ARCHIV für Kommunikation in Frankfurt bin ich auch regelmäßig in der Fotosammlung des Museums für Kommunikation F, und es fasziniert mich, wieviel Alltagsgeschichte sich in den Bildern verbirgt. Und auch bei der Deutschen Post war es so, dass namhafte Fotografen und erstaunlich viele Fotografinnen beauftragt wurden, Postgebäude, Menschen und Apparate abzulichten.
Viel Freude beim Bearbeiten!
Ganz herzlichen Dank für Ihr Feed-Back! Ihnen wünsche ich auch weiterhin viele spannende fotografische Trouvaillen!
Grüsse aus Bern