Planetopia-Pop-up: Gespräche, Suppe und verformte Vorurteile in Langnau
Wir wollen mit Planetopia raus aus dem Museum, raus aus unserer Bubble und mit den Menschen reden. Wir wollen wissen, wie sie leben und was sie in ihrem Alltag beschäftigt. Welche Gedanken machen sie sich zu Mensch und Natur? Wie schätzen sie die ökologische Krise ein? Was haben sie zu sagen und was können wir von ihnen lernen? Um das zu erfahren, reisen wir am 22. Juli nach Langnau an den traditionellen Sommermarkt.
EINE REISE NACH LANGNAU
In Graubünden aufgewachsen, war ich bis jetzt noch nie in Langnau. Beim Versuch mir ein Bild von Langnau zu machen, zieht ein löchriger Käse und ein mächtiges Bauernhaus mit abgeschrägtem Dachgiebel vor meinem inneren Auge vorbei. Ich bin gespannt, mein Wissen über Langnau und das Emmental zu erweitern.
Am frühen Mittwochmorgen besteigen wir, beladen mit Gepäck, den Zug in Bern. Bereits am Bahnhof in Langnau sehen wir die ersten Markstände: Wir schlendern an Lederwaren, Magenbrot und Töpfereien vorbei. Bei einem Stand mit Türmen von CDs frage ich mich, wann ich das letzte Mal eine CD gebraucht geschweige denn gekauft habe. Beim Wurststand biegen wir links ab und gelangen an unser Ziel. Wir dürfen unser Pop-up beim Chüechlihus, dem Emmentaler Regionalmuseum, einrichten und bekommen einen eigenen Märit-Stand. Das Chüechlihus wurde 1930 gegründet und befasst sich mit Geschichte, Alltag, Gewerbe und Handwerk des Emmentals. Eigentlich ganz passend zu dem, was auch uns interessiert. Wie sehen Alltag und Arbeit hier aus? Und wie hat sich Langnau in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
ERSPIELE DEIN GESPRÄCH
Wir richten unseren Marktstand ein und spannen die grüne Girlande aus gesammelten Stoffresten vom Chüechlihus über den Platz zu unserem Stand. Mit Kreide schreiben wir eine Aufforderung auf den Boden: «Zeichne dein Lieblingstier!». Wir wollen die Leute spielerisch zum Dialog einladen. Interessierte können sich an einem Glücksrad oder mit einem Himmel-Hölle-Faltspiel ein Wort erspielen. Dieses Wort nehmen wir als Ausgangspunkt für das Gespräch. Es sind Wörter zu den Kategorien Alltag, Ich, Natur und Langnau. Wer während des Gesprächs noch mehr in die Tiefe gehen möchte, kann auf einer zweiten Ebene eine Frage zu dem Wort würfeln: «Ist eine Blumenwiese veraltet? Ist eine Tradition schädlich? Ist eine Gewohnheit veränderbar?». Für etliche Gespräche ist das ein guter Anstoss und führt zu spannenden Diskussionen. Doch manchmal entsteht ein Gespräch auch nur durch die Äusserung: «Ich habe kein Lieblingstier. Und du?»
Im Verlauf des Tages lerne ich unterschiedliche Menschen kennen – mit teilweise überraschenden Lebensgeschichten. Gerade die ältere Generation freut sich über die Gespräche und erzählt gerne von früher und wie sich das Leben verändert hat:
«Früher hatten alle einen Garten, waren sozusagen Selbstversorgerinnen oder Selbstversorger. Wir hielten Tiere und konsumierten mehrheitlich Produkte aus der Region. Ferien hatten wir mit dem eigenen Hof eigentlich nie. Hin und wieder unternahmen wir einen Ausflug in der näheren Umgebung.»
Dabei kommt mir eine Geschichte meiner Grossmutter in den Sinn. Als sie in ihrer Jugend das erste Mal eine Banane in der Hand hatte, versuchte sie dieses krumme, fremde Ding samt Schale zu essen. Heute ist die gelbe Frucht bei uns in den Kühlregalen und Haushalten so selbstverständlich, als ob sie im eigenen Garten wächst.
SUPPE MIT WURST IM PLASTIK GESCHIRR
Bereits beim Aufbau am Morgen macht ein Mann mit einem Notizblock die Runde. Er fragt uns, ob wir am Mittag auch eine Portion Suppe essen möchten. Wir sind etwas überfordert und verzichten erstmal. Vielleicht gibt es ja noch andere Optionen? Am Mittag kommt er mit einem Wägelchen der Heilsarme trotzdem bei uns vorbei und bringt Gemüsesuppe mit Wurst und einem Stück Brot. «Du kannst so viel dafür bezahlen, wie du willst, wenn du kein Geld hast, auch gar nichts», erklärt er uns. Dankend nehmen wir die Suppe entgegen. Wir schätzen die herzliche Geste sehr fest – trotz Wurst und Plastik-Wegwerfgeschirr.
Am Nachmittag lerne ich einen älteren Mann kennen und spreche fast eine Stunde mit ihm. Er erzählt mir, wie sie früher mit dem Pferdewagen die Ware zum Markt brachten und das Pferd den Weg nach Hause so gut von alleine fand, dass der Vater auf dem Heimweg immer ein Nickerchen machen konnte. Sozusagen das autonome Fahren unserer Zukunft per Autopilot, nur müssen wir uns für dieses Nickerchen noch etwas gedulden. Lange habe er auf dem Familien-Hof mitgearbeitet und sich später dann beim Zirkus Knie um die Tiere gekümmert. So sei er ganz schön in der Gegend rumgekommen. Mit dem Flugzeug sei er aber erst einmal in seinem Leben geflogen. Für mich ein bereichernder Einblick in ein Leben, dass ich mir zu Beginn des Gesprächs wahrscheinlich ganz anders vorgestellt hätte.
vERFORMTE VORURTEILE
Manche Gespräche gehen tiefer, andere bleiben eher an der Oberfläche. Die Menschen, die ich treffe, sind sich im Klaren über die Veränderungen in der Natur und die Auswirkungen des Klimawandels. Sie gehen vielleicht nicht auf die Strasse und nehmen an Klima-Demonstrationen teil, doch merke ich in meinen Gesprächen, dass ihr Lebensstil, wie sie durchs Leben gehen, wie sie Ferien machen (oder eben nicht) und wie sie konsumieren oft nachhaltiger erscheint, als ich es aus meinem Umfeld in der Stadt kenne. Natürlich bin ich vorsichtig mit solchen Verallgemeinerungen, es sind lediglich einzelne Einblicke in Lebensalltage. Dennoch erweitern die heutigen Gespräche meinen Horizont, meine Vorstellungen und bringen auch einige meiner Vorurteile zum Verschwinden.
Ein Gewitter bringt am Nachmittag eine schöne Abkühlung an diesem enorm heissen Sommertag. Es vertreibt jedoch auch die meisten Besuchenden und als es um 16.00 Uhr noch einmal in Strömen regnet, holen auch wir die grüne Girlande runter und packen unsere Sachen zusammen. Am 21. September sind wir nochmals am Langnauer Märit zu Gast. Ich freue mich schon jetzt auf weitere spannende Gespräche.
Autorin
Barla Pelican, Projektmitarbeiterin Planetopia, Museum für Kommunikation