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Speech Babel – aus der Sprachblase

Wie bilden wir die sprachliche Vielfalt unseres Publikums in der Ausstellung ab? Dieser Frage ist das Projekt Speech Babel mit einem einfachen aber sehr wirksamen Ansatz nachgegangen. Plötzlich spricht unsere Ausstellung in über 20 Sprachen über Satellitenschüsseln, historische Mobiltelefone und vieles mehr.

Eine Minute verstehe ich nur Bahnhof. Welche Sprache ist das?

Ich stehe im Museum für Kommunikation vor einer Objektwand und höre den Audiobeitrag von «Speech Babel» über ein Kommunikationsobjekt. Ich erahne, um was es sich dreht, und lausche gespannt den zweiten kürzeren Teil, eine Zusammenfassung in einer unserer Landessprachen. Es ist eine von zahlreichen Geschichten, die Besuchende in ihrer Muttersprache eingebracht haben. Erzählende sind Menschen, die hier wohnen, oder als Tourist:innen die Schweiz bereisen und in einer Sprache beheimatet sind, die ausserhalb von Deutsch, Französisch und Englisch liegt. So finden sich Beiträge in Amharisch, Flämisch, Ungarisch und vielen weiteren Sprachen. Die Sammlung wächst kontinuierlich.

In unserer Kernausstellung treffe ich eine junge Frau, die sich riesig über die ausgestellte Satellitenschüssel freut. Ich bin eher irritiert, kann ihr Entzücken mit bestem Willen nicht nachvollziehen. Hewan erzählt mir, wie in der Hauptstadt Äthiopiens, Addis Abeba, das Stadtbild geprägt ist von Hunderten von Satellitenschüsseln. Sie ist in einem mehrstöckigen Haus aufgewachsen und sofort erinnert sie sich wieder an ihre Kindheit, als sie und ihre Geschwister einander vom Balkon zum Dachgeschoss Kommandos zuriefen – die einen behielten das rauschende Fernsehbild im Auge und die Person vor der Satellitenschüssel drehte sie leicht in einen besseren Winkel. Vor allem Regen soll zu vielen Störungen geführt haben. Viereckige Satellitenschüsseln lösten die runden ab und waren ein Zeichen für Fortschritt. Die junge Frau erzählt mir diese Schilderungen eher ruhig und verhalten in Deutsch. Als sie mir jedoch die Geschichte noch einmal lebhaft für die Aufnahme auf Amharisch erzählt, zeigt sich eine neue Facette dieser Erzählerin, sehr zielstrebig und energisch.

Eine junge Frau steht vor einer Wand mit verschiedenen Objekten und zeigt auf einen Satellitenempfänger. - vergrösserte Ansicht
Hewan erzählt in einem Speech Babel Beitrag auf Amharisch ihre Erinnerungen an die Satellitenschüsseln in Addis Abeba.

Äthiopien – seien Sie ganz ehrlich, welche Bilder tauchen in Ihrem Kopf als erstes auf, wenn Sie an dieses Land denken? Sicherlich nicht Satellitenschüsseln, oder vielleicht unterdessen schon? Ich bin berührt und fühle mich in meinen inneren Vorstellungen über Äthiopien etwas ertappt und einfältig gefangen. Und heute schmunzle ich über mich, plötzlich interessiere ich mich auch für die Satellitenschüssel. Ich bin so begeistert von unserer Satellitenschüssel, und dies vor allem wegen Hewans Geschichte.

Loslassen und vertrauen

Durch «Speech Babel» geben wir als Museum die Zügel über Inhalte und Fakten aus den Händen. Entsprechen die für uns unverständlichen Geschichten auch den kurzen Zusammenfassungen? Verletzen die Geschichten ethische Grundsätze? Es braucht ein Stück Mut und Vertrauen von meiner Seite und von Seiten des Museums. Ein weiterer ungewohnter Faktor ist meine Rolle als Gastgeberin. Normalerweise bin ich es, die führt, anregt und den Boden für Aha-Erlebnisse aufbereitet. Plötzlich tausche ich die Rolle und die Kommunikationsebene verschiebt sich. Die Ziege Äthiopiens in meinem Kopf weicht plötzlich einer Satellitenschüssel, ein gleichwertiger Austausch auf Augenhöhe entsteht und hebt vorgefertigte Denkmuster auf.

«Speech Babel» ist wie Tee trinken, das Zubereiten und das Geniessen. Ich entscheide mich für ein Aroma, ich befülle das Teesieb. Die trockenen Blätter knistern beim Zerkleinern. Ein Duft entflieht. Ich hänge das Sieb an den Tassenrand und giesse mit heissem Wasser auf. Grün strömt es aus den Sieblöchern. Dampf steigt feucht auf, intensiver der Duft. Die Tasse ist heiss und ich wärme meine Hände daran.

Das Zubereiten sind die Gespräche mit Menschen, die uns ihre Geschichten schenken, die bereit sind in ihre Vergangenheit einzutauschen. Das Trinken ist das Hören und der Austausch über die Beiträge mit anderen Besuchenden.

Eine junge Frau steht vor einer Vitrine mit Objekten und zeigt auf ein Handy. - vergrösserte Ansicht
Mittlerweile gibt es Speech Babel-Geschichten in über 20 Sprachen – und die Sammlung wächst weiter. Athanasia zum Beispiel erzählt in Griechisch, wie sie das Nokia 3310 an ihren Vater erinnert.

Ein Tee-Erlebnis mit einer herzerwärmenden Prise Zimt, Minze und erfrischender Orange erlebe ich auf einem Rundgang durchs Museum, als ich mich zwei Menschen nähere. Zuerst sind es nur kurze organisatorische Fragen ihrerseits. Des Weiteren tauschen wir uns in Englisch über Ausstellungsinhalte aus. Wir stellen uns einander mit Namen vor. Etwas später kreuzen sich unsere Wege erneut und sie haben das Potential einer Kommunikatorin erkannt. Wir diskutieren vor der ERMETH, der Elektronischen Rechenmaschine der ETH Zürich, wie die digitale Welt unser Verhalten beeinflusst. Komplimente fallen. Sie finden dieses Museums ist das Beste, was sie je gesehen hätten. Nur eine kleine Kritik massen sie sich an. Leider hätte es nichts Griechisches, etwas aus ihrer Heimat. Ich trumpfe auf, kein Problem, auch da hätte ich was. Ich führe sie vor unsere Objektwand mit den «Speech Babel» Beiträgen und spiele ihnen eine griechische Geschichte über ein Nokia 3310 ab. Die Freude ist gross. «Unglaublich, als drehe sich alles nur um uns!» Am Abend erreicht mich, die an der Kasse abgegebene Nachricht. Thank you very much, eine Telefonnummer, signiert mit Dominic und Gregori. Ich stecke mir das Papier in die Hosentasche und erinnere mich erst wieder daran, als ich den verwaschenen Zettel aus der Tasche nahm, nachdem ich die Hose aus der Waschmaschine gezogen habe.

Autorin

Jacqueline Fahrni, Kommunikatorin, Museum für Kommunikation, Bern

Wie entstand «Speech Babel»?

Im Projekt «Multaka» entdeckten Menschen mit Migrationsgeschichten und Kommunikator:innen zusammen das Museum neu und suchten nach neuen Formaten. Ziel war es, unsere Erfahrungen und Erkenntnisse in einem Erlebnis für weitere Besuchende umzusetzen. Saddam und ich bildeten ein Team. Wir verknüpften die Thematik von Menschen mit Migrationsgeschichten mit unseren Interessen und entwickelten das Konzept zu «Speech Babel». Saddams Augenmerk lag auf den Sozialen Medien, insbesondere das Format von kurzen prägnanten Beiträgen. Mein Herz schlug für unsere Ausstellungsobjekte. Wir fragten uns, wo sind die Menschen, die die Schweiz bewohnen, in der Ausstellung sichtbar? Wie möchten wir Menschen mit Migrationsgeschichte darstellen und was löst einen Austausch auf Augenhöhe aus? Indem wir Menschen nach Erinnerungen zu Ausstellungsobjekten befragen, werden wir zu Zuhörenden. In den Sozialen Medien ist die Präsenz der Beiträge sehr kurzlebig. Deshalb entschieden wir uns, die Erzählenden als bleibenden Teil der Ausstellung sichtbar zu machen und ihnen Raum im bestehenden Gefüge zu geben.

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