Und, was hat Planetopia gebracht?
Als wir das Projekt Planetopia starteten, geschah dies aus einem starken Bedürfnis heraus, etwas gegen die ökologische Krise zu unternehmen. Mitzuhelfen, dass endlich etwas passiert. Die Menschen zum Handeln zu bringen. Das war im Frühling 2020. Was ist seither geschehen, mit Planetopia, mit unserem Museum, mit uns? Ein Fazit in vier Akten.
Am Anfang war das Wort
Und das Wort war … bei uns. Zu Beginn trug das Projekt den Arbeitstitel «Wir müssen reden». Wir fassten damit nicht nur in drei Worten zusammen, wie wir die Situation empfanden. Sondern wir setzten auch das Motto des Projekts. Wir wollten das Potential unseres Museums als Ort des Dialogs, der Auseinandersetzung und der Meinungsbildung ausloten und die Menschen vom Reden zum Handeln bringen. Dabei wollten wir den Kerngedanken des Dialogs ernst nehmen. Wir wollten nicht nur sprechen, sondern auch zuhören, Fragen stellen, uns für die Meinungen und Bedürfnisse unseres Gegenübers interessieren.
Ein Ziel von Planetopia war auch, etwas gegen die latente Überforderung zu tun. Es war uns wichtig, die Komplexität der Thematik verständlich zu machen, Lösungsansätze zu vermitteln und Handlungsspielräume aufzuzeigen. Unsere Strategie: Indem wir mit den Leuten über Ökologie reden, setzen wir ihnen einen Floh ins Ohr. Mehr können wir nicht tun – mehr ist aber auch gar nicht nötig. Wir vertrauten darauf, dass ein kleiner Schubser reicht, um etwas in Bewegung zu setzen und die Menschen vom Reden zum Handeln zu bringen. Diese Dynamik wollten wir mit alltagsnahen Tipps, die einfach umzusetzen sind, unterstützen. Unser Appell: Nicht lange hin und her überlegen, welche Massnahme wohl am effektivsten und wirksamsten ist, sondern einfach anfangen. Nicht das gesamte Leben umkrempeln mit dem Ziel, die Welt zu verändern. Sondern einen ersten kleinen Schritt machen in einem Handlungsfeld, das naheliegt und ein Erfolgserlebnis verspricht.
Ehrlich gesagt: Mir flatterten hin und wieder die Hosen. Ein Ausstellungsprojekt, das weit über eine eigentliche Ausstellung hinausreicht, das sich um ein höchst umstrittenes Thema dreht und brandaktuelle Problemfelder von globaler Tragweite in den Mittelpunkt stellt – ist das nicht eine Nummer zu gross? Während des mehr als dreijährigen Prozesses gab es einige Momente, wo ich unseren Mut – oder unseren Leichtsinn – verfluchte. Rückblickend aber kann ich sagen: Es hat sich gelohnt.
Vom reden zum Handeln
Der Entscheid, mit den Szenograf:innen von Offcut zusammenzuarbeiten, erwies sich als goldrichtig. Wir lernten viel und sammelten wertvolle Erfahrungen betreffend Materialien und Kreisläufen, aber auch in Bezug auf den Entstehungsprozess einer ökologisch nachhaltig gebauten Ausstellung (siehe auch Blog-Post «Eine Ausstellung ökologisch nachhaltig bauen – Wie geht das?»). Wir erreichten einen Anteil an wiederverwendeten Materialien und technischen Geräten von rund 90%. Mit grünen Etiketten machten wir in der Ausstellung transparent, woher welche Materialien stammten und wozu sie vorher gedient hatten. Natürlich deklarierten wir auch die Elemente, die wir neu anschafften. Ehrensache, dass wir uns auch beim Abbau vornehmen, so viele Bestandteile wie möglich wieder in den Kreislauf zu geben. Recycling oder Entsorgung kommt nur als allerletzte Option in Frage.
Die Ausstellung an sich war eher konventioneller Natur – klassische Wissensvermittlung mit Fakten und Zahlen. Es stellte sich heraus, dass die Besuchenden genau das schätzten. Das Verständlich machen der Komplexität war ja auch eines unserer Ziele. «Fakten liefern und sagen, was Sache ist, das braucht es bei diesem Thema», bestätigte mir ein Besucher.
Als ideale Ergänzung zur Wissensvermittlung und als besonders wertvoll erwiesen sich die zwei Workshopzonen, die wir im Ausstellungsraum einrichteten. Die multifunktionale Infrastruktur mit vielen Sitzgelegenheiten wurde rege genutzt: für Gruppenführungen, interaktive Workshops und Veranstaltungen im Planetopia Dialogprogramm. Aber auch Einzelbesucher:innen schätzten die Zonen, um sich kurz zu setzen, Luft zu holen, miteinander zu plaudern. Und bald fanden hier auch Aktivitäten und Anlässe statt, die wir gar nicht geplant hatten. Planetopia-Sonderkommunikator Stefan lud ökologisch engagierte Menschen ein, um ihre Initiativen vorzustellen und sich mit den Besuchenden auszutauschen. Auch seine Kolleg:innen, die Tagesteams der Kommunikator:innen, kreierten tolle Aktivitäten: Sie liessen die Besuchenden über eine Reihe von Ökogesetzen abstimmen oder forderten mit der Aktion «Kill your data» dazu auf, überflüssige Fotos und E-Mails zu löschen. So gelang es, den CO2-Ausstoss in der Grössenordnung eines Flugs von Zürich nach Buenos Aires einzusparen.
Natürlich gab es in den vielen Gesprächen auch kritische Rückmeldungen. Etwa, dass wir die Verantwortung für die Lösung der Umweltprobleme zu stark auf den einzelnen Menschen schieben würden. «Ich kann ja nicht alles verändern – wo bleiben die Politik und die Wirtschaft?», wurden wir mehrfach gefragt. Die Reaktion ist verständlich, es ist eine sehr unangenehme Situation, wenn ich persönlich für Überschwemmungen in Pakistan, Buschbrände in Australien und die Eisschmelze in der Arktis verantwortlich sein soll. Aber: Wir haben es in der Hand, Veränderungen anzustossen, jede und jeder einzelne von uns. Die Politik geht nicht voran, sie folgt den Menschen, soll Bill Clinton gesagt haben. Wir wählen die Leute in unsere Parlamente, die entscheiden und Gesetze verabschieden. (Wie ernst die Schweizer Bevölkerung die Ökokrise nimmt, wird sich bei den nationalen Wahlen im kommenden Herbst zeigen.) Auch als Konsument:innen sind wir mächtig. Was wir nicht konsumieren, verschwindet bald aus den Regalen. Unsere persönlichen Entscheidungen sind zentral. Und selbstverständlich sind wir stärker und haben wir mehr Gewicht, wenn wir uns organisieren und zusammenschliessen.
Auch hinter den Kulissen
Planetopia hat in unserem Museum vieles ausgelöst. Angefangen bei angeregten Pausengesprächen, über kleinere Veränderungen und grössere Massnahmen bis hin zu längerfristigen, umfangreichen Projekten (siehe auch Blog-Post «Ökologisches Museum für Kommunikation»). In den nächsten Jahren steht eine Dachsanierung an und die Abklärungen für eine Photovoltaik-Anlage und eine Dachbegrünung laufen.
Auch im Museumteam führten wir den Dialog. Bereits im Vorfeld sprachen wir darüber, dass wir mit dem Projekt die Komfortzone verlassen würden. Es zahlte sich aus, dass wir bei den Mitarbeitenden ein Commitment abholten. Wir nahmen Widersprüche und Bedenken ernst, redeten zusammen, hörten einander zu und handelten gemeinsam. Planetopia war stark bottom-up-geprägt. Wir begannen im Kleinen und erzielten so erste Erfolge. Das war motivierend und entfaltete eine Dynamik, die dem ganzen Projekt zugutekam.
Ökologische Nachhaltigkeit ist bei uns aber auch top-down ein Anliegen. Es war entscheidend, dass wir entsprechende Freiräume nutzen konnten. So lancierten wir mit «Planet MfK» ein neues Sitzungsgefäss, das viermal im Jahr stattfindet und sich um die Nachhaltigkeit dreht. Freiräume wurden auch gegen aussen genutzt: Das Wandbild von Onur Dinc auf der Museumsfassade und die Hecken, Holz- und Steinhaufen zur Steigerung der Biodiversität im Aussenraum zeugen davon. In den aktuellen Jahreszielen für das Museum ist die ökologische Nachhaltigkeit nun genauso selbstverständlich festgehalten wie das Realisieren von erfolgreichen Ausstellungen oder die sorgfältige Pflege der Sammlungsbestände.
Wir haben mit Planetopia den Weg hin zu einer ökologischeren Museumsarbeit eingeschlagen. Es gibt kein zurück, alles andere wäre unglaubwürdig. Völlig ökologisch sind wir deswegen noch lange nicht.
Und es gibt da ein paar riesige Brocken, die uns Kopfzerbrechen bereiten: Heizung, Kühlung und Klimatisierung der Ausstellungsräume (für die Sammlungsobjekte, nicht die Besuchenden) verbraucht sehr viel Energie. Zudem zeigen Studien, dass der Publikumsverkehr einen beträchtlichen Anteil, rund einen Viertel, des jährlichen CO2-Ausstosses von Museen ausmacht. Solche Widersprüche werden wir wohl nie ganz lösen können.
Dialog und Krautstiele …
Wenn wir wollen, dass Dialog stattfindet, müssen wir den Raum dafür schaffen. Unsere Kommunikator:innen arbeiten seit bald sechs Jahren nach diesem Rezept. Wir wissen, dass es funktioniert. Bei den Planetopia-Pop-ups am Furkapass, am Langnauer Markt oder in der Badi Reiden verzichteten wir bewusst auf explizite Vermittlungsmethoden und sammelten weder Meinungen noch Statements für die spätere Ausstellung. Wir nahmen uns einfach nur Zeit, brachten spielerische Gesprächsauslöser mit, setzen uns an den Tisch und redeten und hörten zu. Ähnlich funktioniert auch die Agentur für Weltwandelsabkommen, die wir seit zweieinhalb Jahren betreiben. Und in diesem Sinn konzipierten wir auch die Workshopräume in der Ausstellung. Es sind keine Schul- oder Sitzungszimmer, sondern einladende Freiräume, die kreativ genutzt werden können. Es fanden tatsächlich viele Gespräche statt im Raum für Weltwandel.
Keine Angst vor kleinen Schritten – einfach mal anfangen. Was wir unserem Publikum vermittelten, erwies sich auch für das Projekt selbst als gute Strategie. Der Weg hin zu einem nachhaltigeren Leben ist eine schrittweise Annäherung, ein ständiges Ausprobieren und Experimentieren, ein stetiger Lernprozess. Dabei können Fehler passieren und es gibt Rückschläge. Das gehört dazu, es sind wertvolle Erfahrungen. Wenn wir uns in diesen Prozessen kooperativ und reaktionsfähig verhalten, vergrössern wir nicht nur unser Fachwissen, sondern entwickeln auch ein Bewusstsein für das eigene Handeln.
Rückblickend erscheint das Abenteuer Planetopia als gar nicht mehr so aussergewöhnlich. Es wirkt eher wie der logische nächste Schritt für unser Museum. Auch das ist ein Fazit: Wenn man sich auf ein Thema einlässt und sich ernsthaft damit auseinandersetzt, verliert es Stück für Stück seine Bedrohlichkeit.
Mich persönlich hat Planetopia in vielerlei Hinsicht weitergebracht. Ich habe unheimlich viel gelernt, auch über mich selbst und mein Verhalten, das nicht immer nur ökologisch ist. Ich bleibe dran. Seit einigen Wochen bewirtschafte ich eines der Hochbeete vor dem Museum und züchte eigenes Gemüse. Vor kurzem kochte ich die ersten selbstgezogenen Krautstiele. Es war eine kleine Freude – und ein schönes neues Lebensgefühl.
PS: Die Ausstellung Planetopia – Raum für Weltwandel schliesst am 23. Juli 2023. Das Projekt lebt aber weiter, auch in Form einer digitalen Dokumentation die Sie hier finden:
Autor
Ulrich Schenk, Ausstellungskurator und Projektleiter, Museum für Kommunikation, Bern