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«Licht aus der Vergangenheit» - Der Fotobestand Pro Telephon

Das Museum für Kommunikation erschloss in den Jahren 2020 und 2021 den Fotobestand „Pro Telephon“. 14‘000 Bilder dokumentieren die Arbeit dieser Lobbyorganisation von 1927 bis 1977 und den Einzug des Telefons in den Schweizer Alltag. Die Bilder spiegeln Technikgeschichte und Zeitgeist gleichermassen wider. Dank der umfassenden Erschliessung sind sie nun digital zugänglich und bis Ende 2022 können auch Originalabzüge im Museum für Kommunikation besichtigt werden.

Anlässlich des Jubiläums zur späten Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz postet das Museum für Kommunikation auf den Sozialen Medien eine Aufnahme aus dem Jahr 1946: Eine Frau sitzt vor dem Vermittlungspult der Landtelefonzentrale Kippel und häkelt. Offenbar war gerade wenig los im Telefonnetz des Lötschentals. Ein Bild von vielen aus unserer Fotosammlung, doch es löst unerwartete Effekte in der Gegenwart aus. Der Sohn der Telefonistin entdeckt die Fotografie im Netz und kontaktiert begeistert das Museum für Kommunikation. Wenig später besucht er die Fotosammlung persönlich – unversehens wirkt die Vergangenheit in die Gegenwart, Emotionen werden geweckt, Geschichten erzählt. Erinnerungen an die längst verstorbene Mutter werden wach.

Wir erfahren, dass die abgelichtete Telefonistin Cäcilia Jaggy heisst. 75 Jahre nach der Aufnahme können wir die Fotografie genau lokalisieren. Zur Geschichte der Post Kippel werden Dokumente ausgetauscht, und das Museum ist um eine vielschichtige Story reicher. Die Fotografie zeigt „Licht aus der Vergangenheit“ (in Anlehnung an den Song „Hotel Sunshine“ der Band 2raumwohnung) erhellt die Gegenwart. Dieses Beispiel veranschaulicht, museale Fotosammlungen sind Bestandteile des kulturellen Gedächtnisses der Schweiz. Erinnerungsstücke, die gleichzeitig an persönliche Geschichten anknüpfen und die Kommunikationsgeschichte der Schweiz reflektieren. Aktiviert werden diese allerdings erst durch die Erschliessung und einfache Zugänglichkeit der Bilder.

Historische Aufnahme: Eine Frau sitzt vor einer kleinen Stöpselzentrale und häkelt. - vergrösserte Ansicht
Cäcilia Jaggy sitzt vor dem Vermittlungspult der Landtelefonzentrale Kippel, 1945, Museum für Kommunikation, PRO_00613

Die Bildwelt von Pro Telephon

Die Fotografie von Cäcilia Jaggy stammt aus dem Bildbestand von Pro Telephon. Als Teilprojekt von ODIL (mehr zum Projekt ODIL) ist dieser in den Jahren 2020 und 2021 dank Unterstützung von Memoriav umfassend erschlossen worden. Pro Telephon, gegründet 1927, war eine Vereinigung der Telefonverwaltung und der Telefonindustrie zur Förderung des Fernmeldewesens in der Schweiz. 1985 gehörten ihr 160 Firmen an, darunter auch die PTT. Heute würde man die damaligen Tätigkeiten wohl als „Kartell“-Lobbying und Marketing bezeichnen. Der Bildbestand von Pro Telephon umfasst circa 14‘000 fotografische Einzelobjekte zum Thema Telefonie aus der Zeit von 1930 bis 1977. Pro Telephon produzierte zusätzlich Werbe- und Schulungsfilme sowie zahlreiche Plakate, die sich ebenfalls im Museum für Kommunikation befinden.

In den ersten Jahrzehnten fokussiert der Blick der Bildwelten von Pro Telephon stark auf die Telekommunikationstechnik und deren Errungenschaften. Technikbegeisterung wird inszeniert. Die glückliche Endverbraucherin steht in ihrem Haushalt am Telefon – ein Motiv, das in dutzendfacher Variation immer wiederkehrt. „Das Telefon als Tor zur Welt“, so eine beteiligte Konservatorin. Andere Motive sind die Telefonzentralen mit ihrer beeindruckenden Technikwelt und der Leitungsbau – insbesondere im Hochgebirge ein Kraftakt, wie wir ihn uns heute kaum noch vorstellen können.

Gut dokumentiert ist auch eine Schweizer Eigenart der Radioübermittlung und des Radiohörens: Via Telefonleitung lassen sich per Telefonrundspruch auch in hintersten Bergtälern – die von Radiowellen nur schwer erreicht werden – störungsfrei die Landessender empfangen. Das Leitmotiv des Bilderreigens gibt zurückblickend ein Pro-Telephon-Plakat von 1939 wieder: „Es Telefon i jedes Hus.“

Historische Plakatgrafik mit einem Engadinerhaus, an dem ein überdimensionaler Telefonhörer hängt. Darunter steht der Slogan: Es Telefon i jedes Hus. - vergrösserte Ansicht
Charles Kuhn: Plakat für Pro Telephon, 1939, Museum für Kommunikation, PLG_10280

Neben den zu Werbezwecken entstandenen Aufnahmen dokumentieren zahlreiche Fotografien von Schaufenstern und von Telefoninstruktionen in Schulen die praktischen Verkaufs- und Servicetätigkeiten von Pro Telephon. Die Fotografien dienten wohl als eine Art interner Arbeitsbeleg. Gerade in der Schule will Pro Telephon Hemmungen gegenüber der neuen Technologie Telefon abbauen. 1934 wird aus Telefon-Schulübungen das Folgende berichtet: „Sie würden Zeuge sein, dass es Schüler gibt, die am Apparat vor Erregung kein Wort sprechen können und gelegentlich sogar in Weinen ausbrechen.“

Vom furchterregenden Apparat wird die Telefontechnik in der Nachkriegszeit bald zum Alltagsgegenstand – viele Haushalte können sich jetzt einen Telefonanschluss leisten. Der Fotobestand dokumentiert nun eine Zeit des Wirtschaftswachstums, welche der Soziologe Burkart Lutz mit dem Buchtitel „Der kurze Traum immerwährender Prosperität“ treffend umschreibt. Der Blick der Fotografen und Werber richtet sich nun vermehrt auf die Telefonbenutzer:innen in ihrem häuslichen und geschäftlichen Umfeld sowie auf die Freizeit. Obwohl das Telefonieren schrittweise automatisiert wurde, stehen in den Fotografien noch lange Zeit Telefonistinnen im Fokus. Ähnlich wie die Stewardessen in der Luftfahrt gaben die Telefonistinnen der Technik ein junges und attraktives Gesicht und vermittelten oft gar ein Gefühl von Geborgenheit. Ansonsten ist die Betriebskultur bei Pro Telephon allerdings männlich dominiert: Die Geschäftsleitung und Führungsorgane der Vereinigung sind bis 1977 und darüber hinaus in aller Regel von Männern besetzt. Auch lassen sich im ganzen Bestand nur marginal Aufnahmen Fotografinnen zuweisen.

Ein historisches Bild zeigt wie eine Lehrerin mit einem Schüler vor der ganzen Klasse telefoniert.
Blick auf hohe Schaufenster am Hauptbahnhof Zürich. In den Schaufenstern ist Telefonwerbung zu sehen.
Blick in eine historische Stöpselzentrale: Vor einem grossen Stöpselpult sitzt eine lange Reihe von Frauen, die mit Steckverbindungen Telefongespräche verbinden.
Eine Frau in langem Kleid steht vor neutralem Hintergrund und telefoniert.
Zwei Frauen liegen im Badekleid auf Holzplanken beim Sonnenbad. Die eine Frau liegt mit dem Kopf auf dem Bauch der anderen.

Die Erfassung der Bilder stellt die Zugänglichkeit sicher

Eingegangen in die Fotosammlung des Museums für Kommunikation ist das Pro Telephon-Fotoarchiv in den Jahren 1998 und 1999. „4 Schubladenstöcke + 1 Palette mit Kisten“ wird seinerzeit vermerkt. Das Konvolut beinhaltet nebst dem Fotoarchiv auch Plakate, Filme und Archivalien. Die Schenkung erfolgte direkt von der Nachfolgeinstitution Pro Telecom. Sie stand zu jenem Zeitpunkt infolge der Liberalisierung der PTT vor der Auflösung.

Dank einer dazugehörigen Ablage mit Archivkarten bleibt der umfangreiche Fotobestand überblickbar. Kontaktkopien mit zugeordneten Fotonummern und eine thematische Gliederung helfen bei der Suche eines Bildes – und auch bei der ersten Groberfassung in der Museumsdatenbank. Im Rahmen unserer Projektes ODIL gilt es 2020 und 2021 die bestehenden Erfassungen zu überarbeiten und den konservatorischen Zustand von Negative und Diapositiven zu prüfen. Herausfordernd sind dabei chemische Bestandteile, die früher in der Fotografie üblich waren. Wie erwartet bestehen zahlreiche Negative aus Cellulosenitrat – einem anspruchsvollen Material das sich im schlimmsten Fall selbst entzünden kann. Dieses Filmmaterial wurde umgehend isoliert und sachgerecht gelagert. Die Negative und Diapositive auf Celluloseacetat-, Glas-Trägern wie auch die Papierabzüge sind hingegen weitgehend in stabilem Zustand. Den idealen Zeitpunkt für ihre digitale Sicherung haben wir glücklicherweise nicht verpasst. Trotzdem lassen sich bereits materialtypische Schadensbilder wie Verbräunungen, Silberspiegel, Essigsäuresyndrom und Verwerfungen feststellen. Nur vereinzelt finden sich ausgeprägte Schäden mit fast vollständigem Verlust der Bildinformation.

 

Herausforderung Bildrechte

Pro Telecom hat den Fotobestand dem Museum für Kommunikation ohne Bedingungen überlassen. Das Museum geht davon aus, dass die Nutzungsrechte durch Pro Telephon eingeholt worden sind. Es gibt aber keine schriftlichen Vereinbarungen mit den Fotograf:innen, welche die Aufnahmen für Pro Telephon realisiert haben. Die Klärung der Bildrechte erweist sich deshalb als schwer lösbare Herausforderung und kann in vielen Fällen nicht abschliessend geklärt werden. Ein Beispiel: Zwei Fotografen, die in der Nachkriegszeit regelmässig für die Vereinigung arbeiteten, sind beispielsweise Fred Eberhard und Josef A. Elsener. Die Recherche zeigt, dass Elsener gemäss dem Zürcher Telefonbuch von 1961 auch Sekretär der Pro Telephon war. Zu beiden Fotografen lassen sich jedoch nicht einmal die Lebensdaten sicher eruieren. Es kommt hinzu, dass beide Nachnamen mit „E“ beginnen, weshalb Kürzel wie „PT/E“ auf Fotoabzügen nicht einwandfrei zugeordnet werden können. Klarer ist die Situation beim Fotografen und oscargekrönten Filmemacher Ernst Albrecht Heiniger (1909–1993), der in jungen Jahren viel für Pro Telephon fotografierte. Er wurde 2021 posthum mit der grossen Ausstellung „Ernst A. Heiniger. Good Morning, World!“ in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur geehrt. In der Ausstellung wurden zahlreiche Fotografien aus dem Bestand Pro Telephon gezeigt.

Blick in ein Restaurant: Am Tisch sitzt ein Mann, den Kopf auf dem Tisch mit einem Bier vor sich. Dahinter an der Wand ein gerahmtes Bild mit einer Frau, die einen Telefonhörer in die Höhe hält. - vergrösserte Ansicht
Ernst A. Heiniger: Restaurant-Alltagsszene, im Hintergrund Pro-Telephon-Werbeplakat mit Fotografie von Heiniger, ca. 1940, Museum für Kommunikation, PRO_95580

Inzwischen ist dieser eindrückliche Bestand vollständig bewertet, erschlossen, präventiv konserviert, digitalisiert und bereit für das digitale Langzeitarchiv. Der Bestand ist damit für Forschung und kreative Nutzung über den online-Katalog zugänglich. Ebenso laufen die Vorbereitungen für ein Partizipationsprojekt. Unter Beteiligung von Citizen Science sollen die Bilder noch mit mehr Hintergrundinformationen angereichert werden. Aber nicht nur darin liegt der Wert von partizipativen Prozessen. Dabei gelangen immer auch neue, ungeahnte, berührende und spannende Geschichten ins Museum, wie diejenige der Lötschentaler Telefonistin Cäcilia Jaggy. Als krönender Abschluss der Arbeiten an dem Bestand Pro Telephon wird seit Juli 2022 eine kuratierte Auswahl von Originalabzügen in der Kernausstellung des Museums gezeigt. Damit möchte das Museum die ursprünglich im Kontext von Unternehmens- und industrieller Auftragsfotografie entstandenen Fotografien auch hinsichtlich ihrer ästhetischen und poetischen Qualitäten würdigen.

Blick in einen Raum mit einer Stöpselzentrale, vor der eine Frau sitzt. Hinter dem Stöpselpult ist ein wildes Geflecht aus Kabeln zu sehen, das den Grossteil des Raumes füllt.
Aus dem Fenster eines Lastwagens blickt mit ernster Mine der Chauffeur, auf dem Kopf ein Uniformhut.
Durch ein dekoratives Gartentor tritt ein Beamter mit Uniformhut und Monteurschürze - in der Hand eine Werkzeugtasche.
Aufnahme eines Beistelltischchens auf dem ein Telefon steht. Darüber hängt ein gerahmtes Bild, mit eine Fotografie einer jungen Frau am Telefon.
Durch einen schmalen Gang mit Unmengen von Kabelverbindungen sieht man weiter hinten einen Monteur, der Kalbe lötet.
Vor gewaltiger Bergkulisse trägt eine lange Reihe von Männern ein dickes Telefonkabel über eine Bergwiese.

► Hinweis: Ausstellung "Ins Licht"

Das Museum für Kommunikation macht den Bestand von Pro Telephon auch in der Ausstellung sichtbar. Seit dem 8. Juli 2022 sind rund 70 Originalbilder aus der Sammlung in der permanenten Ausstellung zu sehen. Um die Originale zu schützen, werden später andere Bilder gezeigt. Die Ausstellung ermöglicht so einen immer neuen Einblick in die Fotosammlung des Hauses. Neben dem umfassenden digitalen Zugang eine Ergänzung, die auch dem Charme des Originals gerecht wird.

Autor:innen

Juri Jaquemet, Sammlungskurator Informations- und Kommunikationstechnologie, Museum für Kommunikation

Martha Mundschin, Konservatorin-Restauratorin Papier, Foto & AV-Medien, Museum für Kommunikation

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